8. Mai 2024 07:20

Zwischen Familie und Beruf

Heimarbeiterinnen in der Tütenklitsche

Zeugen der Stadtgeschichte: Meißner Frauen und der Kampf um Gleichberechtigung

Von der freundlichen Anmut der Kaiserin Adelheid als Stifterfigur im Dom bis zur Meißnerin Louise Otto-Peters als Begründerin der deutschen Frauenbewegung: Meißen steht seit Generationen auch für berühmte Frauen und weibliche Tugenden. Was die Frauen von Meißen sonst noch bewegte und auszeichnete, ist nur sporadisch in Erinnerung geblieben.

Die Frauen früherer Generationen waren durch ihre Festlegung auf mütterliche und häusliche Pflichten in ihrer Gleichberechtigung eingeschränkt. Doch ihre Lage war differenziert nach ihrer gesellschaftlich-sozialen Stellung. Das härteste Los hatten seit dem Beginn der Industrialisierung die Frauen zu tragen, die als Fabrikarbeiterinnen den Lebensunterhalt unter unwürdigen Bedingungen absichern mussten.

Frauenarbeit in der Jutespinnerei

Diesem Problem hatte sich Louise Otto-Peters bereits 1846 in ihrem Roman „Schloss und Fabrik“ zugewandt. 1848 verfasste sie die berühmte „Adresse eines Mädchens“ an den sächsischen Minister Oberländer, wobei es ihr vor allem um eine „Organisation der Arbeit“ ging, die den Frauen angemessene Bedingungen bot. Auch der Meißner Bürgermeister Richard Hirschberg sah dort eine dringliche Aufgabe. Er nutzte seine Möglichkeiten als Reichstagsabgeordneter, um eine zur Frauenbeschäftigung geeignete Jutespinnerei in Meißen anzusiedeln. Sie nahm hier im März 1874 die Produktion auf.

Dennoch waren damit die Probleme der Frauenarbeit nicht gelöst. Schlechtere Entlohnung und ungesunde Arbeitsverhältnisse waren an der Tagesordnung, wie die schreckliche Pulverexplosion in der Sicherheitszünderfabrik Bickford & Co. am 9. Februar 1875 offenbarte, der 15 Frauen zum Opfer fielen. Zudem bedrückte vor allem kinderreiche, alleinstehende und kranke Frauen ein harter Existenzkampf. Ein Beispiel dafür ist das Schicksal der Mutter des späteren Bürgermeisters Willi Anker. Sie war seit 1893 verwitwet und starb 45-jährig am 20. Dezember 1897 an Lungenschwindsucht. Neun Kinder hinterlassend.

Zur Linderung des Frauenelends organisierten sich verschiedene bürgerliche Initiativen, von denen sich zunächst vor allem der 1867 durch Königin Carola ins Leben gerufene „Albertverein“ hervortat. Zwar widmete er sich vorrangig der Ausbildung freiwilliger Krankenpflegerinnen, doch lag der Bürgermeisters-Ehefrau Emma Hirschberg, seit 1882 Vorsitzende, die Frauen-Fürsorge besonders am Herzen. Daneben nahmen sich zunehmend kirchliche Kräfte dieser Aufgabe an.

Eine Arbeiterin in der Meißner Jutespinnerei (1934) Archiv Gerhard Steinecke

Die erste Frauenversammlung

Zugleich hatte sich jedoch die Frauenfrage mehr und mehr aus der nur sozialen Betrachtung herausgelöst und mit der Forderung nach gesellschaftlicher Gleichberechtigung neue Dimensionen angenommen. Unter dem Einfluss der Sozialdemokratie wurde sie vor allem aus der Arbeiterklasse geltend gemacht. Ausdruck fand dies mit der ersten Frauenversammlung am 10. April 1907 im „Kaisergarten“. Später gründete sich ein sozialdemokratischer Frauenverein. Die erste Frauenkundgebung anlässlich des ersten internationalen Frauentages fand am 19. März 1911 in der Geipelburg statt. Rund 700 Frauen fanden sich dazu ein.

Inzwischen hatten auch selbstbewusste Frauen von Organisationen unabhängig ihre Selbstverwirklichung in bisher verwehrten Tätigkeitsbereichen durchgesetzt. Zu ihnen zählte Amalie Dietrich aus Siebenlehn, die 1863 bis 1873 in Australien und der Südsee für ein Hamburger Handelshaus naturwissenschaftliche Sammlungen vornahm. Klara Sedes war von 1883 bis 1896 Leiterin des Meißner Stadttheaters. Die Geschwister Margarete und Elisabeth Große sorgten ab 1899 als Bergtouristinnen und ab 1902 als Ballonfahrerinnen für Aufsehen.

Zugang zur Berufswelt

Andere betätigten sich bei neu aufkommenden, worüber sich das „Meißner Tageblatt“ am 30. Mai 1896 amüsierte, oder fanden sich 1899 in einem Damen-Stenographenverein zusammen, obwohl Frauen eine Betätigung in Organisationen erst 1908 zugestanden wurde. Dagegen setzte sich die 1862 mit dem Gewerbegesetz eingeräumte Freiheit, ab dem 24. Lebensjahr einen Gewerbetrieb führen zu dürfen, nur langsam durch. Dafür werden auch finanzielle Gründe bestimmend gewesen sein.

Als erste Frau in Meißen empfing die Schneiderin Anna Rottstädt, Ilschnerstraße 1, am 5. Februar 1913 den Meisterbrief. Danach öffnete der Männermangel im Ersten Weltkriegs rasch den Zugang in weitere Berufe. Frauen wurden beispielsweise Straßenbahnführerinnen und Briefträgerinnen.

Straße benannt nach Luise Otto-Peters

Die Ablösung der Monarchie 1918 brachte den Frauen, seit dem 30. November 1918 auch wahlberechtigt, neue Entfaltungsmöglichkeiten. Erster Ausdruck dafür war die öffentliche Würdigung Louise Otto-Peters anlässlich ihres 100. Geburtstages am 23. und 26. März 1919 in der Fürsten- und Neumarktschule. Die ursprünglich 1887 nach dem Baumeister Otto benannte Ottostraße wurde in Louise-Otto-Straße umbenannt. Damit kam nach der wenig erklärbaren Luisenstraße erstmals ein achtbarer Frauenname in Meißens Straßen zur Geltung. Zugleich begann sich ein neues Frauenverständnis durch eine Vielzahl von Initiativen und Vereinen durchzusetzen. Es gab Aufklärungsvorträge im Naturheilverein „Volkswohl“, Hilfestellungen bei der Bewältigung häuslicher Aufgaben durch den Meißner Hausfrauen-Bund, aber auch ideologische Ausrichtung in politischen Organisationen. Bemerkenswert ist auch der 1917 gegründete Landwirtschaftliche Hausfrauenverein, dessen Meißner Ortsverein unter der Gutsbesitzerin Else Abbel als Vorsitzende im Dezember 1925 hier den ersten Landfrauentag des Kreisverbandes Dresden ausrichtete. Auf dem Programm standen Vorträge zur Geflügelzucht und Berufsförderung, eine Besichtigung der Porzellan-Manufaktur sowie ein Konzert.

Die berufliche Gleichstellung hielt sich weiterhin in Grenzen: Es gab Barrieren und zweitklassige Entlohnung. Dennoch eroberten sich die Frauen neue Betätigungsbereiche, so unter anderem im Friseurgewerbe, aber auch in bisher männertypischen Berufen. „Frl. Finner“ war 1929 die erste „Kraftdroschkenführerin“ Meißens. Meißnerinnen engagierten sich auch in Bildung, Kultur und Sport: in jenen Jahren unter anderem die Studienrätin Dr. Felicitas Kolde an der Höheren Mädchenschule, die Künstlerin Many Jost und viele Turnerinnen und Rudersportlerinnen. Einen ungewöhnlichen, aber auch nur einmaligen Erfolg erreichten die Frauenrechtler 1925 mit der Aufnahme von Mädchen an der Landesschule St. Afra. So wurde dort beispielsweise die spätere Studienrätin und Assistentin an der Bonner Universität, Marianne Ullrich, ausgebildet. Auch in der Kommunalpolitik nahmen Frauen erstmals Positionen ein. Mit der Wahl vom 9. Februar 1919 wurden Anna Grießbach und Marie Büttner für die SPD und, Rechtsanwaltswitwe Dr. Margarete Bahrmann für die Bürgerlichen Stadtverordnete. Am 28. August 1925 konnte schließlich Studienrätin Dr. Kolde einen Platz als erste amtliche Stadträtin einnehmen.

Frauenbild im Wandel der Zeit

Bei alledem fehlte es nicht an Bemühungen konservativer Kreise, das bisher vorrangig sozial bestimmte Frauenbild durch ein vaterländisches Frauenverständnis zu besetzen. Die Frau wurde da hauptsächlich als treusorgende Stütze des Mannes verstanden. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren in diesem Sinne Frauengruppen der Deutschen Kolonialgesellschaft, des Flottenbundes deutscher Frauen oder des Frauenverbandes der Deutschen Luftflottenvereine tätig. Nach der Novemberrevolution fanden sich neue Organisationen, wie der Deutschnationale Frauenbund oder der Stahlhelm-Frauenbund. Entscheidenden Einfluss erreichte jedoch die nationalsozialistische Bewegung, die einen arischen und mütterlichen Frauentyp zum Leitbild erhob. Der in Meißen am 5. Dezember 1930 gegründeten NS-Frauenschaft fiel die entsprechende Ausrichtung zu, die sie nach der Machtergreifung 1933 uneingeschränkt wahrnehmen konnte. Für weniger politisch Interessierte wurde noch das Deutsche Frauenwerk ins Leben gerufen. Der neuen Frauenrolle entsprach die Einrichtung einer Mütterschule im März 1936 in der Fährmannstraße 16. In der Fleischergasse 14 wurde eine hauswirtschaftliche Beratungsstelle eröffnet. Am Muttertag wurde an kinderreiche Mütter das „Mutterkreuz“ verliehen, erstmalig am 21. Mai 1939.

Zugleich bestimmten aber die Zwangserfassung von Frauen und Mädchen im Bund Deutscher Mädchen, Pflichtjahr, Reichsarbeits- und Lazarettdienst, als Wehrmachtshelferin oder in der Rüstungsproduktion den Alltag. Politische Gegnerinnen und nichtarischer Frauen wurden verfolgt. Das Ende der Kreisfrauenschaftsleiterin Margarete Wolf, die am 7. Mai 1945 mit ihren zwei Töchtern und drei Enkeln in Niederbobritzsch von sowjetischen Militärs gerichtet wurde, steht symbolisch für das Ende einer unseligen Frauenpolitik.

Die Verwirklichung einer umfassenden Gleichberechtigung rechneten sich die nachfolgenden SED-Machthaber zugute. Das Gesetz über Mutter und Kinderschutz und Rechte der Frau vom 27. Februar 1950 trat in Kraft. Tatsächlich aber blieben Frauen in hohen Positionen selten und als Andersdenkende im Abseits. Die Durchsetzung der Gleichberechtigung blieb weiter eine Aufgabe.

Titelfoto: In der „Tütenklitsche“ in Meißen-Triebischtal waren viele Heimarbeiterinnen beschäftigt, die ihre Waren ablieferten (um 1930) Archiv Gerhard Steinecke

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