27. April 2024 14:01

Ziegelrote Dächer, sommerblaue Mondnacht

Oskar Zwintscher: Meißner Jugendstil-Ansichten im Albertinum

Im Dresdner Albertinum ist in diesem Jahr zu sehen, wie in Meißen die damals neuartigen Formen und Farben des Jugendstils in der Malerei erkundet wurden.

Diese kunstgeschichtliche Epoche, auch Art Nouveau oder Sezessionsstil genannt, kam zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Gegenantwort zu Historismus und Industrialisierung auf und drückt sich in geschwungenen Linien und organischen Elementen aus. Naturalistische Ausdrucksweise wird von flächigen, leuchtenden Farben, betonten Konturen und musterartigen Anordnungen abgelöst. Inhaltlich wird das Sichtbare mit symbolischen oder mythologischen Inhalten angereichert. So kann nicht nur das Reale ausgedrückt werden, sondern auch das Seelische, Träume und andere Aspekte der menschlichen Existenz.

Der Maler Oskar Zwintscher verbrachte seine ersten Schaffensjahre in Meißen von 1892 bis 1903, wo er anfangs im Haus auf der Freiheit 2 wohnte, wie schon Ludwig Richter einige Jahrzehnte zuvor. Andere Maler zog es nach dem Studium in europäische Großstädte, der gebürtige Leipziger wählte das Elbtal und die sächsische Kreisstadt, was auch mit seinem Stipendium durch die Munkeltsche Stiftung ermöglicht wurde.

Ganz in der Nähe der Burg hatte er einen romantischen Ausblick auf die Altstadt, die er ebenso märchenhaft in seinen Bildern verewigte. Einmal sehen wir in einer erhellten Nacht eine Frau (die zukünftige Adele Zwintscher ?) an einem rosenumrangten Fenster den Mond betrachten, im Hintergrund die Albrechtsburg und fahle Dächer darunter, der Nachthimmel strahlt mit zarten Wolken und Sternen darüber. Ein einsames, knallig rot beleuchtetes Fenster wacht über der schlafendenden Stadt.

Das Ölgemälde „Ansicht von Meißen“ von 1896 zeigt ein rotes Dächermeer mit Brücke und Burglehnhaus, wo sich jeder Dachziegel in ein feingliedriges Ganzes fügt. Anders als im Expressionismus, dem sich Oskar Zwintscher nicht zugehörig fühlte, werden bei ihm Details und Linien betont und Formen in Muster verwandelt.

Oskar Zwintscher, Ansicht von Meißen – Blick von der Burg, 1896, Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: S. Max

In seinen Landschaften vom Elbtal können wir das Leuchten des Sommers beobachten. Im Bild „O Wandern, o Wandern!“ von 1903 sehen wir die Felswand des „Bösen Bruders“ von einer Anhöhe aus, gespiegelt in der sich nach Neuhirschstein schlängelnden Elbe. Darüber fließt der Sommerhimmel um rundliche und doch luftige Wolkenstreifen. Man möchte loslaufen hinab von der Höhe (Golkwald?), die Straße nach Diesbar-Seußlitz entlang und eintauchen in diesen farbintensiven und prächtigen Tag.

Zur Bosel ist Oskar Zwintscher auch gewandert, das Bild „Sommertag“ zeugt davon. Hier wird die Weite des Himmels gerade so eingefangen, wie es bei diesem schmalen Hochformat nur möglich ist. Am Horizont der Brockwitzer Kirchturm und die Hänge von Radebeul-West. Oben auf dem Aussichtspunkt liegt ein Junge ausgestreckt auf einer Bank im Schatten, wohl müde von Spiel und Mittagshitze – meisterhaft ausgeführt, wie hier die Ruhe zu spüren ist.

Klimt ohne Gold

Mit seiner Frau Adele, die er in Meißen kennenlernte, wohnte er in der Dresdner Straße 25, wo er sie 1902 portraitierte. Auch gibt es hier ein leuchtendes Rot auf dem Teppich, Frau Zwintscher steht hochformatig und schwarz gekleidet vor einer weißen Tür. Sie hat eben einen Handschuh abgestreift, die andere Hand ruht auf der Türklinke, zeitlos verweilend blickt sie den Betrachter an. Kleidung und Haltung erinnern an jene Würde, die auch Gustav Klimts Damenportraits ausmachen, ein bekannter Vertreter des Wiener Jugendstils und Zeitgenosse von Oskar Zwintscher.

Oskar Zwintscher, Bildnis der Gattin des Künstlers, 1902, Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Hans-Peter Klut

Ab 1903 lehrt der Maler an der Dresdner Kunstakademie, wird wenig später zum Professor ernannt und zieht nach Dresden. Nach zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen kann er 1910 auf der Biennale in Venedig in einem eigenen Saal seine Bilder internationalem Publikum präsentieren.

1916 stirbt Oskar Zwintscher im Alter von nur 45 Jahren. Sein Grab befindet sich auf dem Loschwitzer Friedhof.

Alle hier erwähnten Gemälde können in der Ausstellung „Weltflucht und Moderne: Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900“ noch bis 15.01.2023 im Dresdner Albertinum betrachtet werden. Ein Video der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden lädt zur Spurensuche durch Meißen ein.

Autor: Susanne Max

Titelbild: Oskar Zwintscher, O Wandern, o Wandern!, 1903, Albertinum, Foto: SKD/Elke Estel/Hans-Peter Klut

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