Zeugen der Stadtgeschichte: „Der Hamburger Hof“
Sollte der „Hamburger Hof“ noch einmal aus seinem Dornröschenschlaf wachgeküsst werden, dann würde bald sein 200-jähriges Jubiläum zu feiern sein. Denn nach dem verheerenden 30. September 1813, als die bedrängten französischen Truppen das Dorf Cölln in Brand gesteckt hatten, begann mit dem Wiederaufbau der „Gärtnernahrung“ hier zugleich ein Schankbetrieb. Als Gottlieb Mautrig (Maudrich) für den 15. September 1816 zum ersten guten Montag in die Schänke zu Cölln einlud, gab es zwar bereits nahe Vergnügungsmöglichkeiten im „Elbschlösschen“, in den „Drei Rosen“ und in der „Teichmühle“. Doch die erfassten eher gehobenere Ansprüche und andere Einzugsbereiche.
Einkehr und Vergnügen für Dorfbewohner
Die Cöllner Schänke verstand sich von Anfang an als Einkehr- und Vergnügungsstätte der Dorfbewohner. Inwieweit sie auch die Straßenbauarbeiter nutzten, die 1817/18 die Dorfstraße zur Chaussee ausbauten, der heutigen Dresdner Straße, ist nicht verbürgt. Jedoch die so erlangte verkehrsgünstige Lage förderte zweifellos den Zuspruch Reisender. Das erklärt auch die Bezeichnung „Stadt Hamburg“, die ab 1844 verwendet wurde und auf die Elbeverbindung zum Tor der Welt verwies. Demgemäß mauserte sich der Dorfgasthof mehr und mehr zur Rast- und Ausflugsgaststätte, die auch die Meißner anlockte. Gastwirt Robert Wolf wusste sich darauf einzustellen. 1870 fügte er längs der Dresdner Straße einen Biergarten mit Veranda an. 1877 kamen eine Kolonnade und ein Gartensalon dazu. Auch der 1828 errichtete Kegelschub wurde 1884 durch eine zeitgemäße Kegelbahn am Nachbargrundstück zur Kaiserstraße abgelöst.
Neubau im mittelalterlichen Gewand
In dem Maße, wie sich jedoch Cölln seit dem Eisenbahnanschluss von 1860 vom dörflichen Idyll zu einem Industriestandort entwickelte, genügte die alte Schänke trotz aller Erneuerungen schon bald den gewachsenen Vergnügungsbedürfnissen nicht mehr. Ihr Abriss und die Errichtung einer Großgaststätte im Jahr 1896 gehörten zum damaligen Selbstverständnis, genau wie die Bezeichnung „Hamburger Hof“. Der dazu erforderlichen Geschäftsführung modernen Stils entsprach die Bierbrauerei Gebr. Bahrmann als neuer Besitzer. Der Betrieb verband damit zugleich seinen Standortwechsel vom Alten Brauhaus an der Frauenkirche zur neu angelegten Brauhausstraße.
Noch heute zeugen Details an dem damals errichteten Komplex, der neben den Gasträumen auch einen Konzert- und Ballsaal, Fremdenzimmer und Personalwohnungen aufzuweisen hatte, von jener Bauzeit: der Vermerk des Baumeisters am „Hamburger Eck“, die damals beliebte Nachahmung mittelalterlicher Architektur an den Fenstergewänden und der dagegen aufgekommene Jugendstil mit seinen geschwungenen Linien und Ornamenten. Was sich hier an „Erlebnisgastronomie“ für den Massenbedarf bot, lag genau im Trend. In Meißen, wozu Cölln seit 1901 gehörte, repräsentierten den auch die „Geipelburg“, der „Alberthof“ und der Erweiterungsbau der „Sonne“ oder in Weinböhla der „Zentralgasthof. Dazu gehörten auch weiterhin der beliebte Biergarten, der ebenfalls den gewachsenen Ansprüchen angepasst und 1906 an der Dresdner Straße mit einem neuen Musikpavillon verschönert wurde, sowie eine moderne Asphaltkegelbahn, die den neuesten Vorschriften entsprach.
Vom Keglerheim zum Deutschen Meister
War der Erste Weltkrieg dem Geschäftsbetrieb abträglich, so förderte das Vergnügungsbedürfnis danach neue Initiativen. Die damals gegründete Genossenschaft „Keglerheim“ übernahm den „Hamburger Hof“ 1921. Er trug fortan die Zusatzbezeichnung „Keglerheim“. Eine neue, noch 1921 eingeweihte Kegelbahn mit acht Asphaltbahnen war 1922 sogleich Austragungsort des 9. Bundesfestes des Sächsischen Kegelbundes und gewann 1929 durch zwei weitere Spezialbahnen noch mehr an Bedeutung. So verwundert es nicht, wenn daraus bei den Deutschen Keglermeisterschaften 1939 in Gera Oskar Kiesler als Deutscher Meister hervorging.
“Viele bedeutende Personen jener Zeit traten im Hamburger Hof auf, z.B. die Comedian Harmonists oder Martin Andersen-Nexö.”
Doch der „Hamburger Hof“ wurde auch seinem Anspruch als „Gesellschaftshaus“ gerecht. Er fungierte nicht nur als Einkehr-, Tanz- und Übernachtungsstätte. Seit der Erweiterung um den Südflügel 1929 anstelle des bisherigen Biergartens, gab es hier mehr kulturelle, bildende und gewerbliche Veranstaltungen. Hervorzuheben sind – nach einem ersten Versuch 1920 – der Betrieb eines Filmtheaters 1929/31 („Capitol“), die Förderung gewerblicher Einrichtungen, wie des Konfektionsgeschäftes (Oberlausitzer Bekleidung) Hanisch und der Sonnenapotheke 1929 oder die Bewirtschaftung der Weinstuben Kapitelberg 1937/38. Viele bedeutende Personen jener Zeit traten im „Hamburger Hof“ auf: der Afrika-Forscher Hans Schomburgk (1927, 1938), der dänische Dichter Martin Andersen-Nexö (1931), die Comedian Harmonists (1933) oder die Weltfliegerin Elly Beinhorn-Rosemeyer (1935, 1940).
Treffpunkt auch für Nationalsozialisten
Solche Angebote brachten es mit sich, dass der „Hamburger Hof“ – abgesehen vom „Biertunnel“ – immer mehr vom konservativen Bürgertum in Anspruch genommen wurde. Leider fanden auch die Nationalsozialisten offeneTüren, die hier bereits 1926 einen Propagandaauftritt von Josef Goebbels veranstalteten, aber besonders nach ihrem Machtantritt in Erscheinung traten. So spielte der „Hamburger Hof“ während des Zweiten Weltkrieges eine maßgebliche Rolle bei der Ausrichtung auf Durchhalte- und Opferfreudigkeit, sei es durch beschwörende Auftritte oder durch Ablenkungen wie Wunschkonzerte. Am Ende stand die Nutzung als Verwundeten-Sammelstelle während der Kämpfe um Meißen.
Tanzorchester, HO-Gaststätte und Karneval
Beschädigt wurde das Haus durch die Sprengung der nahen Eisenbahnbrücke über die Dresdner Straße am 26. April 1945.
Nach dem Krieg kam trotz Not und Entbehrung ein neues Lebensgefühl auf. Auch Unterhaltung war wieder gefragt. Schon bald nach Kriegsende bestimmten die Tanzvergnügen das Angebot des „Hamburger Hofes“, ungeachtet seiner Überführung in Volkseigentum, 1945 zunächst zugunsten der Stadt, 1958 als HO-Gaststätte. Bekannte Kapellen sorgten bis in die 50er Jahre für Begeisterung. Aus der Region kamen das Schauorchester Bomsdorf, das Meißner Bühnenschau- und Tanzorchester MBT mit der Sängerin Helga Endlich, die Kapelle Gundlach, das HM-Studio Meißen oder die Kapelle Düring. Von außerhalb lösten Rolf Agunte mit dem Dresdner Rundfunk-Tanz-Orchester, das RBT Berlin mit Bully Buhlan (1948), Rudi Harig (1950) oder Kurt Henkels mit Irma Baltuttis (1951) Anstürme aus. Ab den 60er Jahren kamen Fernsehen, Urlaubsreisen, Beat-Bands und Diskjockeys auf. Die Lust aufs Tanzen ließ nach. Nach wie vor gab jedoch das Tanzinstitut Schade im Hamburger Hof seine Stunden. 1894 begründet von Richard Schade und weitergeführt vom Sohn Herbert bis zu dessen Tod 1978, nahm es sich der gehobenen Ansprüche höherer Lehranstalten und anstandsbedachter Eltern an. Immerhin aber verdiente sich im „Hamburger Hof“ noch die Stern Combo Meißen mit ihrem Aufspiel zum „Tanz zum Wochenende“ ab 1966 die ersten Sporen für den Titel „Hervorragendes Amateurtanzorchester der DDR“.
Darüber hinaus blieb die vielseitige Nutzung ein Charakteristikum des „Hambi“, wie er bald lässig-liebevoll genannt wurde. Von den zahlreichen Interessengruppen waren es vor allem die Sportler und das närrische Volk, die sich hier oft zusammenfanden. Neben den Keglern spielten anfangs die Gewichtheber eine Rolle, während der Meißner Carnevalsverein MCV hier 1980 bis 1990 seine Anhänger versammelte und jährlich bis zu 15 Faschingsvergnügen veranstaltete. Zudem fand das Stadttheater – wie bereits im Winter 1940 – hier in den ersten Nachkriegsjahren eine Ersatzbühne.
Tagungsstätte der FDJ
Auch gewerblich blieb der Hamburger Hof genutzt: Von 1945 bis 1958 mit einer Zweigstelle der Kreissparkasse, deren Räumlichkeiten dann der Apotheke überlassen wurden. Der HO-Imbiss im „Hamburger Eck“ wurde anstelle von Hanischs Konfektionsgeschäft eingerichtet. Allerdings spielte auch weiterhin die Nutzung für politische Veranstaltungen eine maßgebliche Rolle. Sie reichten von Stadtverordneten- und Kreistagssitzungen bis zu bedeutsamen machtpolitischen Bekundungen. Besonders erwähnenswert sind das II. Parlament der FDJ im Mai 1947, das den „Hamburger Hof“ zur Tagungsstätte bestimmt hatte, sowie der hier 1949 durchgeführte Prozess gegen den KZ-Offizier Heimann.
Vor der Demo die Türen geschlossen
Als es am 24. Oktober 1989 in Meißen zur ersten großen Demo gegen den SED-Machtmissbrauch und für eine Demokratisierung der DDR kam, schloss der „Hamburger Hof“ vorsorglich seine Türen. Nur zwei Jahre später endete diese Furcht vor dem Ungewissen. Durch treuhänderische Maßnahmen musste man zum 30. November 1991 für immer schließen. Fünf Jahre danach mussten auch die Kegler den Visionen eines Investors weichen. Seitdem ist der einst gastliche Mittelpunkt Cöllns verödet, lediglich noch belebt von der Sonnenapotheke, ansonsten aber ein trauriges Zeugnis bewegter Vergangenheit.
Der Artikel erschien am 20.10.2005 in der Druckausgabe des Meißner Tageblatts.
Titelbild: „Hamburger Hof“ in Meißen, 1897. SLUB / Deutsche Fotothek / Brück & Sohn Kunstverlag Meißen, PDM