21. November 2024 08:32

Preiswerte Waren und soziales Engagement

Zeugen der Stadtgeschichte: Das Kaufhaus Schocken in der Elbstraße

Damals war es eine neue und ungewöhnliche Unternehmerphilosophie, die der jüdische Großkaufmann Salman Schocken 1912 auf einer Generalversammlung des „Verbandes Deutscher Waren- und Kaufhäuser“ verkündete: „Das richtige und sozial wertvolle Kaufen und Verkaufen muss beiden Gliedern der Kauffunktion Vorteile bieten.“ Bei der kurz darauf erfolgten Einweihung des Meißner Schocken-Kaufhauses in der Elbstraße 19 wies er besonders darauf hin, „dass der Verkäufer es nicht als seine Aufgabe betrachten soll, dem Käufer eine Ware aufzudrängen, die dieser nicht wünscht und die ihm voraussichtlich keinen Nutzen bringen wird.“

Zentral gelegen an der Elbbrücke

Dabei hatte das Kaufhaus Schocken seine Meißner Niederlassung gerade dort eingerichtet, wo einst den Bürgern Geld abgenommen wurde, als hier das kurfürstliche „General-Accise-Thorschreiber-Haus“ stand, die staatliche Zolleinnahme. Nach dem Abriss des benachbarten Brückenturms und den Abbau der Binnenzölle funktionslos geworden, war das Grundstück „Auf der Elbbrücke 9“ 1843 sehr preiswert an den Seiler Carl Gottlieb Böhme übergegangen und ab 1876 im Besitz des Müllers der benachbarten Brückenmühle. Der inzwischen entstandene dreigeschossige Neubau fand 1890 das Interesse des Kaufmanns Salomon Loewenstamm, der hier ein „Garderobengeschäft“ bzw. „Waarenhaus“ einrichtete, das jedoch nicht die erwarteten Einnahmen erbrachte. 1911 musste der Besitz zwangsversteigert werden.

Mit dem hier am 2. April 1912 eröffneten Kaufhaus Schocken war Meißen der 26. Ort, an dem die Warenhauskette eine Niederlassung betrieb. Das 1901 in Zwickau gegründete Unternehmen der Brüder Simon und Salman Schocken hatte sich rasch zu einem der führenden deutschen Kaufhäuser entwickelt. Man arbeitete mit neuen Methoden der Geschäftsführung: preiswertes Angebot durch Großeinkäufe, ständige Aktualisierung, Schaufensterwerbung und Kundenbindung. Darüber hinaus zeichnete das Unternehmen, aber auch die ungewöhnliche Bereitschaft aus, den Mitarbeitern soziale Sicherheit zu bieten. Dazu gehörten bei Krankheit die volle Gehaltszahlung bis zu sechs Wochen, kostenlose Mittagessen für gesundheitlich geschwächte Angestellte und Lehrlinge, die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 30 Prozent des Monatsgehaltes oder Urlaub im Ferienheim Rautenkranz ohne Kosten für Aufenthalt, Verpflegung sowie An- und Abreise.

Bild 2: So pries die bekannte Kaufhauskette den Meißner Kunden ihre Waren an. Foto: Archiv Meißner Tageblatt

Dem Sinn fürs Soziale und fürs Kaufmännische entsprach wohl auch die Wahl Meißens für eine Niederlassung. Man ging nicht nur davon aus, dass die Mittelstadt von 47.000 Einwohnern den Umsatzerwartungen genüge, sondern dass zugleich eine beachtliche Industriearbeiterschaft zu berücksichtigen war, die ein preisgünstiges Angebot besonders schätzen musste. Die Sonderangebote zum Eröffnungstag, „Kostümröcke aus blauem Cheviof mit Tressen- und Samtgarnitur zu 2.95 RM“ oder „reinwollene Musseline-Blusen mit Spachtelkragen und farbiger Schleife sowie ganz gefüttert zu 3.50 RM“ dürften diese Kunden durchaus angesprochen haben. Zudem bot man zuerst im Erdgeschoss Waren für den „kleinen Geldbeutel“ an, etwa Kurzwaren, Spitzen, Strümpfe. Die erste Etage blieb teureren Artikeln vorbehalten: Manufakturwaren, Gardinen, Decken oder Damen- und Kinderkonfektion.

Mit „95-Pfennig-Tagen“ durch Krieg und Inflation

Der Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 setzte zwar dem Warenangebot Grenzen, doch blieb das Unternehmen auch unter diesen Bedingungen seiner Verkaufsstrategie treu, wie Inserate im Meißner Tageblatt erkennen lassen. So boten „95-Pfennig-Tage“ ein Billigangebot von Fertig-Leibwäsche bis zu Wirtschafts-Artikeln, das aber bei der streng rationierten Lebensmittelversorgung auch Gemüse und Obst einbezog. Bezeichnend für das soziale Engagement der Schocken-Brüder ist ihr Bemühen, Kriegsverletzten Arbeitsmöglichkeiten zu beschaffen.

Der Drang zur Verbesserung sicherte dem Schocken-Unternehmen in der Weimarer Republik trotz Inflation und Massenarbeitslosigkeit nicht nur das Fortbestehen, sondern ließ es auch zu einem der erfolgreichsten Kaufhausunternehmen Deutschlands aufsteigen. In Meißen soll dies nach Erinnerungen des früheren Stadtarchivars Reibig durch eine Bauhaus-Dekoration bemerkbar gewesen sein, die möglicherweise auf Einflüsse des durch den Entwurf des Chemnitzer Schocken-Kaufhauses bekannten Architekten Erich Mendelsohn zurückzuführen war.

Geschichten von Max Ilka

Als Mitinhaber im Sinne der Gebrüder Schocken erwies sich in Meißen der jüdische Kaufmann Max Ilka. Noch ist wenig über seine Herkunft und berufliche Entwicklung bekannt. Er wurde 1875 geboren, wohnte in Meißen anfangs in der Hafenstraße 13 und dann im Haus Dresdner Straße 8, das er 1919 erwarb. Weit mehr wussten jedoch die Meißner von ihm als gütigen Geschäftsmann zu berichten. Demnach überließ er einem Arbeitslosen, der sich nach langem Überlegen zwischen zwei Anzügen für den billigeren entschied, den teureren zum Preis des billigen. Oder als 1932 eine Frau für den vom Kaufhaus Schocken zu Weihnachten an Arbeitslose ausgegebenen 5-Mark-Gutschein eine Puppe für ein Enkelkind kaufen wollte, bedeutete er ihr, dass der Gutschein für sie sei, worauf sie sich etwas kaufen musste und die Puppe dazu erhielt.

Geschäftsboykott und Hetze auch gegen Kunden

Den Nationalsozialisten, die Juden als Wucherer und Betrüger sehen wollten und alle Schuld am verlorenen Ersten Weltkrieg anlasteten, war solches Verhalten weder geheuer noch ein Grund zur Rücksichtnahme, so dass ihr Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 auch das Schocken-Kaufhaus traf. Die noch ablehnende Haltung in der Bevölkerung und der Protest des Auslandes ließen es ihnen jedoch ratsam erscheinen, ein rechtsstaatliches Ansehen zu wahren. Offiziell wurden antisemitische Geschäftsboykotte verboten. Stattdessen aber eröffneten die NS-Machthaber 1935 eine antijüdische Hetz-Kampagne, die vor dem Kaufhaus Schocken mit dem Verkauf des Hetzblattes „Der Stürmer“ begann. Der Verkäufer schrie dabei „Kampf gegen das Judentum! Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!“, während Kunden kontrolliert zur Rede gestellt und fotografiert wurden. Beschwerden wurden nicht beachtet oder als übertrieben abgetan. Zwar konnte den beschwerdeführenden Kaufhaus-Angestellten Elfriede Gläser, Linda Grütze, Justin Kahn, Hans Richter, Hildegard Rüdrich, Luise Stiefler und Helene Wackwitz nichts Nachteiliges angelastet werden, doch dafür fand man andere Opfer. So erging sich der „Stürmer“ in unverhohlener Bosheit:

„Weil sie sich ihren Pflichten gegenüber Volk und Staat hinsichtlich der Judenfrage nicht bewusst war, indem sie als Trägerin eines öffentlichen Amtes ihre Einkäufe im Kaufhaus Schocken tätigte, ihr Geld also zum Fremdrassigen trug, musste die hier, Freiheit 8, wohnhafte Wohlfahrtspflegerin, Studienratsehefrau Agnes Caspari von diesem Amte abberufen werden.“

Es liegt nahe, dass die vorzeitige Verabschiedung ihres Dienstherrn, des Oberbürgermeisters Busch im Mai 1935 damit im Zusammenhang stehen könnte. Merkwürdigerweise schied auch Max Ilka im August 1935 aus dem Unternehmen aus. Er hatte einem SA-Mann den Einkauf mit dem Hinweis verwehrt: „Sie dürfen bei uns nichts kaufen, bitte verlassen Sie das Geschäft.“

Verwischen der jüdischen Spuren

 Je mehr ein Vernichtungsschlag der Nazis gegen die Juden in Deutschland absehbar wurde, bemühte sich Salman Schocken, seit dem Tode des Bruders Simon alleiniger Chef der Warenhausgruppe, um Flucht aus dieser Bedrohung. Der Handlungsraum war allerdings sehr begrenzt und ließ ihm nur eine allmähliche Überführung in „arische“ Hände sowie Veräußerung zu. Nachdem zunächst die zuletzt von Salmans Sohn Theodor geleitete Meißner Kaufhaus-Handelsgesellschaft im Juli 1937 aufgelöst und als eine neue Schocken-Gesellschaft unter neuen Geschäftsführern weitergeführt worden war, bemühte sich die Familie über ein Jahr um einen Verkauf des Konzerns. Der konnte bis Dezember 1938 – allerdings weit unter dem Wert – realisiert werden. Um die jüdischen Spuren zu verwischen, wurde 1938 die Umbenennung der „Schocken-AG“ in „Merkur-AG“ beschlossen, wonach die Kaufhäuser ab 1939 als „Kaufstätte Merkur“ bezeichnet wurden. In langwierigen Verhandlungen hatte es Salman Schocken aber immerhin erreicht, die neue Geschäftsleitung mit Vertrauensmännern zu besetzen, die in der Folgezeit den Einstieg von NS-Funktionären verhinderten und die Weiterbeschäftigung des bisherigen Personals sicherten.

Bild 3: Die Brandruine des ehemaligen Kaufhauses wurde nach dem 2. Weltkrieg abgerissen. Foto: Reproduktion Stadtarchiv Meißen

Nach Plünderungen und Brand folgte der Abriss

Dem Ende des jüdischen Besitzes sollte jedoch schon bald auch das Ende der „Kaufstätte“ folgen. Nachdem in Meißen die Brückensprengung vom 26. April 1945 nur leichte Schäden verursacht hatte und am 6. Mai mit dem Einmarsch der Sowjetarmee in Meißen die Nazi-Herrschaft beseitigt war, verursachten Plünderer am 8. Mai einen Brand des Kaufhauses, dem auch die benachbarten Grundstücke „Café Deutsche Flotte“ und „Kaufmann Seifert“ zum Opfer fielen. Nach dem Abbruch der Brandruinen entstand hier der Kändler-Park. Vergessen scheint Max Ilka, der die NS-Zeit überstand und 1950 in Meißen verstarb. Vielleicht ist gerade deshalb ein Blick zurück auch ein Anstoß zur Nachdenklichkeit.

Gerhard Steinecke

Der Artikel erschien am 12.02.2009 in der Druckausgabe des Meißner Tageblatts.

Titelbild: Die Meißner Schocken-Filiale wurde 1912 eröffnet, Foto: Reproduktion Stadtarchiv Meißen, Bildbearbeitung: Susanne Max

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