Die „Kugelspielerin“ ist eine der bekanntesten Figuren aus der Porzellan-Manufaktur Meissen. Ihr Schöpfer Walter Schott starb vor 80 Jahren.
Eine bürgerliche Wohnung in Sachsen, Anfang des 20. Jahrhunderts: Eine doch recht freizügig gestaltete Plastik steht auf dem Wohnzimmerbüffet, dem Sekretär oder auf dem erhöhten Aufsatz des Vertikos. Es ist die „Kugelspielerin“, geformt in Meissener Porzellan. Die Plastik zeigt eine kaum verhüllte junge Frau mit einer Kugel in der Hand, leicht herabgebeugt, mitten in der Bewegung.
So wie die Figur nun erhöht steht, werden gewisse anzüglich beziehungsweise aufreizend dargestellte Körperteile neugierigen Blicken diskret entzogen. Doch der Hausherr genießt sicherlich seinen lustvollen und wissenden Blick auf die Figur. Für ihn ist die „Kugelspielerin“ vielleicht eine lebendig bleibende und liebevolle Erinnerung an Lebensfreuden in jüngeren Jahren.
Die „Kugelspielerin“ war und ist noch heute eine der bekanntesten, beliebtesten und begehrtesten Meissener Figurenplastiken. Ihr Schöpfer Professor Walter Schott starb vor 80 Jahren. Auch wenn viele Betrachter die „Kugelspielerin“ wegen ihrer jugendlichen Ausstrahlung dem Jugendstil zuordnen, orientierte sich der konservative Bildhauer Schott viel eher am damals noch immer aktuellen Neobarock eines Reinhold Begas und vor allem am Neoklassizismus des Louis Tuaillon, der seinerseits die Traditionen von Schadow und Rauch fortsetzte.
Trotz ihres mädchenhaften Charmes besitzt die plastische Körperlichkeit von Walter Schotts „Kugelspielerin“ eine ganz eindeutig erotische Ausstrahlung. Dabei bilden der kindliche Gesichtsausdruck und der ausgeprägt weibliche Körper einen Kontrast. Doch das Sujet der „Kindfrau“, einer Mischung aus Jungfrau und Femme fatale, war eine charakteristische Erscheinung der Zeit: Erinnert sei an literarische Figuren wie Ibsens „Nora“ und Wedekinds „Lulu“. In der gesamten europäischen Kunstwelt wurde dieses Sujet differenziert dargestellt. Erinnert sei aber auch daran, dass in Deutschland Frauen erst 1918 das Wahlrecht erhielten.
Walter Schott wurde im Jahr 1861 in Ilsenburg im Harz geboren. Sein Vater war dort Leiter der Eisenhüttenwerke. In den Jahren 1878/79 erlernte er zunächst das Bildhauerhandwerk bei Carl Dopmeyer in Hannover. 1880 wechselte er an die Berliner Akademie, wo er bis 1883 bei Fritz Schaper studierte. Bereits 1885 war Walter Schott in Berlin als freischaffender Bildhauer tätig.
Im Jahr 1888 übertrug ihm Kaiser Wilhelm II. den Auftrag, das Neue Palais in Potsdam auszuschmücken. Dafür schuf Schott unter anderem sechs überlebensgroße Gruppen, sechs Einzelfiguren, diverse Trophäen, mehrere Gruppen von Kinderfiguren und 20 steinerne Vasen. Für die Reihe der Marmorstandbilder auf der Berliner Siegesallee schuf Schott ebenfalls in kaiserlichem Auftrag das Standbild von Markgraf Albrecht dem Bären sowie die Büsten von Wigo, Bischof von Brandenburg, und Otto, Bischof von Bamberg.
Im Jahr 1898 erhielt Walter Schott den Professorentitel und die Akademie der Künste ernannte ihn zum ordentlichen Mitglied. Als renommierter Bildhauer setzte er zu jener Zeit äußerst viele Aufträge um. Darunter waren zum Beispiel Büsten bekannter Persönlichkeiten wie der Fürstin Hatzfeld oder dem Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, ein Denkmal für Kaiser Wilhelm I. in Goslar sowie die Statue Friedrich Wilhelm I. für den Weißen Saal des Berliner Schlosses … Für seine Arbeiten wurde Schott auch geehrt. Auf der Weltausstellung 1910 in Brüssel gewann er für einen Brunnenentwurf mit drei tanzenden Mädchen den „Grand Prix“, zwei Jahre später erhielt er für die gleiche Arbeit die „Große Goldene Medaille“ im Glaspalast München. Der heute im Park von Burg Schlitz in Mecklenburg stehende „Nymphenbrunnen“ wurde eine der prominentesten Arbeiten von Walter Schott. Eine Replik befindet sich auch im New Yorker Central Park.
Die mindestens ebenso bekannte „Kugelspielerin“ entwarf Schott jedoch schon einige Jahre früher. Aus den Memoiren des Bildhauers ist Näheres über die Entstehungsgeschichte dieser Figur zu erfahren. Einen inspirierenden Impuls erhielt er offenbar durch die Beobachtung mit Murmeln spielender Kinder in Berlin.
1897 entwickelte Walter Schott eine erste Statuettenform, wobei er zuvor etwa 30 bis 40 Skizzen angefertigt hatte. Problematisch erschien ihm die Armbewegung, mit der das abgeworfene Gewand gehalten wurde. Sein Modell, „ein reizendes Geschöpfchen“, war durch Schotts „Anschreien so erschreckt …, dass es eine ganz impulsive Bewegung machte. Sie legte ihren Arm mit dem ausgezogenen Hemdchen auf ihren Rücken.“
Die frühe Statuette wurde irgendwann einmal verkauft. Letztlich schuf der Bildhauer zwei Modellstudien, wobei die eine Figur unbekleidet und die andere mit einem leichten Schleier bekleidet war. Schotts bildhauerisches Vorbild war dabei die berühmte „tanzende Mänade“ des griechischen Bildhauers Skopas aus der Zeit um 330 v.Chr. Eine verkleinerte römische Kopie dieser Figur findet sich in der Dresdner Skulpturensammlung. Der Zusammenhang zwischen der „tanzenden Mänade“ und der „Kugelspielerin“ wird vielleicht für manchen Porzellanliebhaber neu sein.
Zur Großen Berliner Kunstausstellung des Jahres 1897 wurden jedenfalls eine bekleidete und eine unbekleidete Version der „Kugelspielerin“ in Marmor gemeldet. Ob aber diese Skulpturen überhaupt geschaffen wurden, ist bis heute nicht eindeutig belegt. Im offiziellen Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung Dresden 1897 ist die „Kugelspielerin, lebensgroß, bekleidet“ verzeichnet. Die Figur wird als „verkäuflich“ ausgewiesen, leider fehlt die Angabe, in welchem Material sie angeboten wurde. Im Textführer durch die Ausstellung taucht die Figur noch einmal auf: „Von Schott ist die ‚Kugelspielerin‘ zu erwähnen, die wesentlich durch das liebliche Gesichtchen fesselt.“
Auf der Berliner Kunstausstellung 1898 erscheint ein Bronzeexemplar der Figur – allerdings ist unklar, ob bekleidet oder nicht. Eine bekleidete Version in Bronze befindet sich in der Berliner Nationalgalerie, es wird als Original bezeichnet. Eine rund 1,30 Meter hohe Bronzeausführung im Blumengarten auf dem Düsseldorfer Graf-Adolf-Platz gilt als Zweitfassung.
Die Porzellan-Manufaktur Meissen hatte bereits 1897/98 von Schott die Rechte zur Herstellung von Verkleinerungen der „Kugelspielerin“ erworben. 1898 wurde die bekleidete Version in der Größe von 36 Zentimetern ausgeformt. Eine kleinere, 30 Zentimeter hohe Fassung entstand erstmals im Jahr 1903. Bei Meissen gibt es die „Kugelspielerin“ mit bunter Aufglasurmalerei und Gold, in Biskuit weiß und in Biskuit farbig staffiert. Von besonderer Eleganz ist die farbig staffierte Biskuitversion – vermutlich auch deshalb, weil das Material an Marmor erinnert. Diese Fassung gibt es aber nur selten.
Wer Schotts „Kugelspielerin“ exakt einem Kunststil zuordnen möchte, findet dazu in der Gestaltung des Sockels der Figuren einen wichtigen Hinweis. Auf den Sockeln findet sich stets das Motiv des „laufenden Hunds“: ein Mäander der griechischen Antike in Form eines regelmäßigen, an eine sich überschlagende Welle erinnernden Spiralbandes. Das Mäander-Motiv wurde besonders im Klassizismus wiederverwendet und auch im Neoklassizismus noch vielfach zitiert.
Die Porzellan-Manufaktur Meissen blieb übrigens nicht das einzige Unternehmen, das Walter Schotts „Kugelspielerin“ replizierte. Die Walter-Schott-Aktiengesellschaft Gladenbeck, Berlin-Friedrichshagen, fertigte Bronzerepliken in Verbindung mit Teilen aus Elfenbein.
Walter Schott war außerdem noch weiteren Porzellanherstellern verbunden. Ab 1901 lieferte er Entwürfe für die Porzellanfabrik Rosenthal in Selb, ab 1910 für die Königliche Porzellanmanufaktur Berlin und 1918 entwarf er sieben Modelle für die Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach. Der Bildhauer verstarb im Oktober 1938 in Berlin.