Die Darstellung von Tieren kam vor rund 100 Jahren auch in Porzellan in Mode. Unser Autor Dr. Hans Sonntag erinnert an den Gestalter Erich Oehme (1889 – 1970), der das Genre bei Meissen mitprägte.
Erich Oehme war Modelleur und Bildhauer – und an der Meissener Porzellan-Manufaktur ein Tierplastiker von Rang. Überaus kreativ, feinnervig und verantwortungsbewusst: Seine weißen wie auch farbig staffierten Porzellane und seine Arbeiten in Böttgersteinzeug sind noch heute im Produktionsprogramm der Manufaktur, auch wenn sein Name oft nur beiläufig erwähnt wird. Sein Formempfinden und seine Sujets werden noch immer von den Käufern Meissener Porzellans verstanden und akzeptiert. Der 125. Geburtstag ist ein guter Anlass, um auf Leben und Werk von Erich Oehme aufmerksam zu machen.
Geboren wurde er am 8. November 1889 in Neuberthelsdorf bei Freiberg. Sein Vater war Landschaftsgärtner. 1892 zog die Familie nach Dresden, wo er die Volksschule in Dresden-Striesen besuchte und anschließend am Ehrlich-Stift weiterlernte. Von 1905 bis 1908 absolvierte Erich Oehme eine Lehre beim Dresdener Bildhauer Friedrich Burghardt. Gleichzeitig belegte er auch Abendkurse an der Dresdener Kunstgewerbeschule. Von 1909 bis 1911 war der junge Mann zu Studienzwecken in Italien, ab November 1911 fand er eine kurzzeitige Anstellung an der Nymphenburger Porzellanmanufaktur. Ab November 1912 wurde er als Hilfsmodelleur und ab Juli 1912 als Modelleur an der Meissener Porzellan-Manufaktur fest eingestellt.
Von 1914 bis 1918 war Erich Oehme beim Militär. Ende Dezember 1918 konnte er wieder in der Manufaktur arbeiten. 1919 übertrug ihm Professor Erich Hösel Aufgaben zur reproduktiven Aufarbeitung historischer Modellformen, vor allem von Johann Joachim Kaendler, nach Recherchen im Schriftgutarchiv und in den alten Modellformbeständen.
Oehme schlug einen künstlerischen Weg ein. Von 1919 bis 1920 absolvierte er ein Bildhauerstudium an der Dresdener Kunstakademie bei Professor Selmar Werner. Von 1927 bis 1933 war der Manufakturist in Meißen auch Stadtverordneter beziehungsweise ehrenamtlicher Stadtrat. Ab Juni 1936 wurde er als „freischaffender“, das heißt entwerfender Künstler in der Manufaktur geführt. Erich Oehme wurde Leiter der Gestaltungsabteilung, ab Sommer 1939 wurde ihm die Gesamtleitung der Abteilung Gestaltung übertragen.
Während der Nazizeit schuf Oehme einige Einzelfiguren, Plaketten und Gruppenplastiken, die den offiziellen Anforderungen der damaligen Zeit entsprechen mussten. Von November 1944 bis Mai 1945 war er erneut beim Militär. Ende Januar 1946 kam er aus der Kriegsgefangenschaft nach Meißen zurück, wurde aber schon wenige Tage wegen der Demontage der Manufaktur entlassen.
Doch Erich Oehme blieb dem Porzellan treu. Schon ab Mitte 1946 war er künstlerischer Leiter in der neu gegründeten Freiberger Porzellanfabrik. Ab Oktober 1948 übernahm er die künstlerische Leitung der Gruppe Porzellan in der VVB (Z) Keramik Meißen und bei der VVB Keramik Erfurt. In dieser Funktion hatte er auch eine gewisse Aufsichtspflicht gegenüber der Porzellan-Manufaktur Meissen. Anfang 1955 wurde Erich Oehme pensioniert. Am 23. Oktober 1970 starb er in Karl-Marx-Stadt. Die Einäscherung fand am 30. Oktober, die Urnenbeisetzung am 3. November auf dem Stadtfriedhof in Meißen statt.
Tierdarstellungen hatten bis 1900 kaum eine herausragende Bedeutung in der Malerei und Bildhauerei. Erst mit den Bildwelten von Franz Marc, vor allem durch dessen symbolreiche Tierdarstellungen, erreichte ab 1907 das Sujet in der Kunst Bedeutung und Anerkennung. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war die Bildung der Münchener Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ im Jahr 1911.
Auch in der angewandten Kunst gab es nun ein enormes Interesse an Tierdarstellungen: bei den Künstlern, aber auch bei den Käufern von Porzellan- und Keramikfiguren. Neben August Gaul (1869 – 1921), Max Esser (1885 – 1945), Paul Walther (1876 – 1933), Otto Pilz (1876 – 1934), Erich Hösel (1869 – 1953), Max Bochmann (1874 – 1942) und Rudolf Löhner (1890 – 1971) schuf Erich Oehme fast 60 Tierplastiken für die Meissener Porzellan-Manufaktur. Sie alle tragen seine individuelle Handschrift, sie drücken seine verinnerlichten Beziehungen zum jeweiligen „Tier an sich“ vollendet und faszinierend aus. Die Tiere zeigte Oehme meist in Ruhe oder wartend. Sie haben innere Würde und Charakter. Sie sind Individuen.
Die Spannbreite von Oehmes Tierplastiken reicht vom kleinen Igel oder einer winzigen Schildkröte über Vogelarten wie Blaumeise und Bachstelze bis hin zur Großplastik. Für den Berliner Tierpark schuf er nach dem Zweiten Weltkrieg die großen Bronzeplastiken „Riesenhirsch“ und „Säbelzahntiger“. Besondere Anerkennung und Aufmerksamkeit fanden seine Plastiken nach berühmten Rennpferden, wie zum Beispiel „Maestoso“, „Alchimist“, „Packard“ und „Grande“. Die Oberflächen der Figuren von Erich Oehme sind entweder glatt oder feingliedrig modelliert, wie die Federstrukturen beim „Lückendorfer Birkhahn“ oder dem „Auerhahn“. Etliche gleiche Modelle wurden in unterschiedlichen Varianten, das heißt weiß oder farbig staffiert oder in Böttgersteinzeug angeboten, so dass verschiedene Kundenwünsche befriedigt werden konnten.
Tierplastiken haben zumeist etwas Liebenswertes und Naturverbundenes. Sie wecken Interesse. Tierplastiken aus Porzellan sind vor allem in Wohnungen zu sehen, sie stehen meist in enger Beziehung zu ihren Käufern: Vermutlich sind sie weniger ein reines Dekorationsobjekt als etwa eine Vase. Hoffentlich bleiben die Tierplastiken von Erich Oehme noch lange bei Kunst- und Tierliebhabern beliebt.