Zeugen der Stadtgeschichte: Die Meißner Weihnachtsmärkte
Meißens Vorrecht, drei Jahrmärkte jährlich abhalten zu dürfen, beließ der Stadt für einen Weihnachtsmarkt über Jahrhunderte keinen Anspruch. Ein vom Meißner Rat im Jahr 1766 eingereichtes Gesuch, aufgrund der Zunahme der Einwohnerschaft durch die Porzellan-Manufaktur einen vierten Jahrmarkt Montag vor dem ersten Advent für drei Tage genehmigt zu bekommen, stieß sogar auf heftigen Widerspruch der Meißner Kaufleute und Handwerker. Zudem konnte sich wohl auch die Stadt Lommatzsch dagegen verwahren, da sie seit eh und je ihren zweiten Jahrmarkt als Adventsmarkt am Montag nach dem ersten Advent abhielt und dafür jährlich 30 Taler abzuführen hatte. Und sicher war auch die nahe Residenzstadt Dresden darauf bedacht, dass ihr „Striezelmarktes“, der seit 1434 vor Weihnachten abgehalten wurde, nichts von seiner Anziehungskraft einbüßte. Da fand man sich lieber mit Meißner Händlern ab, wie schon im Jahr 1631, als Töpfer aus der Domstadt auf dem Dresdner Weihnachtsmarkt mit kleinem Puppengeschirr zu niedrigen Preisen die Dresdner Töpfermeister erzürnten, aber schließlich zur Belebung des Geschäfts geduldet wurden.
Noch am Anfang des 19. Jahrhunderts begnügten sich die Meißner während der Adventszeit mit Kirmesfeiern, den üblichen Wochenmärkten und dem Angebot in den Geschäften. Doch warben bereits manche Geschäftsleute durch Inserate im „Meißner gemeinnützigen Wochenblatt“ für den „Weihnachtseinkauf“. Zu dem wurde offenbar auch zunehmend der Wochenmarkt vor Weihnachten genutzt. Dafür spricht eine Bekanntmachung im Wochenblatt vom 13. Dezember 1823, wonach der „gewöhnliche Christmarkt“ bereits am Dienstag, dem 16. Dezember, beginnen sollte, da der Heilige Abend auf einen Mittwoch fiel. Wie sehr diese Praxis aber noch zu wünschen ließ, macht ein Vorschlag in der Ausgabe vom 15. November 1828 deutlich, in dem es um eine durchdachte Zeitspanne nach dem Grundsatz ging, „daß der hiesige Weihnachtsmarkt nicht länger dauern soll, als daß er drei Wochenmärkte in sich faßt“.
Zunächst wenig Interesse
Doch das Interesse der Meißner Geschäftsleute hielt sich wohl noch in Grenzen, wenn man den Kaufmann Ernst Sigismund Burkhardt von der Elbstraße 1 als Beispiel ansehen will. Er zog es jedenfalls vor – so seine Inserate von 1824 und 1827 – , die Ware nicht in seiner Bude auf dem Markte feilzuhalten, sondern im Gewölbe seines Hauses zu verbleiben.
Überhaupt scheinen die frühen Weihnachtsmärkte in Meißen wenig Eindruck hinterlassen zu haben, geht doch nicht einmal Ludwig Richter, der von 1828 bis 1836 als Zeichenlehrer der Porzellan-Manufaktur in der Stadt lebte, in seinen „Lebenserinnerungen eines deutschen Malers“ darauf ein. Zwar spiegelt sich Meißen in zahlreichen seiner späteren Zeichnungen als ein kleinstädtisches Idyll wider, doch der Weihnachtsmarkt spielt dabei keine Rolle. Lediglich im „Weihnachtstraum“ frierender Kinder ist im Bildhintergrund etwas von einem Markttreiben erkennbar. Auch in den Erinnerungen der Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters, in Meißen 1819 geboren, bleibt ein Weihnachtsmarkt unerwähnt.
Doch schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist er zu einem beachtenswerten Ereignis im vorweihnachtlichen Meißen geworden. Der 1852 in Meißen geborene und hier aufgewachsene Professor Otto Richter, bekannt als Dresdner Stadtarchivar, erinnert in seinen „Lebensfreuden eines Arbeiterkindes“ an die „Herrlichkeiten des Striezelmarktes mit seinen Tannebäumchen und bunten Papierpyramiden, mit Flittergold, Zappelmännern und ‚Pflaumentoffeln‘“. Ein Geheimer Regierungsrat notierte über jene Zeit kindhafter Glückseligkeit: „Froh schlagen die Kinderherzen beim Anblick der vielen schönen Sachen, die in den Marktbuden oder auf Tischen in der Fleischergasse unter Öllampen und Laternen feilgeboten werden. In der Fleischergasse gibt es auch Tannen und Pyramiden. Zum ‚Großen Markt‘ hat der invalide Journalausträger Schröder seine Papparbeiten und der alte Tischlermeister Günther vom Neumarkt seine geschnitzten und bemalten Holzfiguren ausgestellt. Auch gibt es Pfefferkuchenbuden des Konditors Neubert, der Bäcker Zieger und Arnold, Buden der Buchbinder Brück und Gast mit Kalendern und Büchern. Vor dem Rathaus steht die Bude von ‚Wachs-Jeanettchen‘ vom Kleinmarkt mit allerlei Dingen aus Wachs, bemalt und unbemalt, Lichter, Wachsstöcke, Engel. An der Ostseite des Marktes haben die Klempner Schwarze und der Zirkelschmied Holder viele schöne Spielsachen aus Holz, Blech und Eisen anzubieten.“
Welchen Zuspruchs sich der Meißner Christmarkt erfreute, berichtete das „Meißner Tageblatt“ am 21. Dezember 1875: „Man kann sich kaum erinnern, daß je soviel Landbewohner unsern Christmarkt besucht hätten, als dies am … Sonntag-Nachmittage der Fall war… Auf dem Markte und den Straßen war eine Menschenmenge wie an einem belebten Jahrmarktstage und mit leeren Händen sah man nur Wenige nach Hause gehen.“
In der ganzen Altstadt
Trotz des Zulaufs blieb man aber dabei, den Christmarkt auf die Woche vor dem Heiligen Abend zu beschränken. Dagegen durfte er sich jedoch über die ganze Innenstadt ausbreiten, wie dem „Meißner Tageblatt“ im Dezember 1890 zu entnehmen ist: „Wie üblich halten auf dem Hauptmarkt zunächst der Kirche die Kurzwarenhändler, Buchbinder und Händler mit Pfefferkuchen. Die nächsten Reihen sind mit Schnitt-, Spielwarenhändlern, Klempnern, Korbmachern, Hutmachern, Schuhmachern usw. besetzt. Äpfel und Nüsse findet man in der Hauptsache in der Schnurengasse (obere Marktgasse); auf dem Kleinmarkt, Jüdengasse (untere Marktgasse) und Roßplatz ist der gewöhnliche Wochenmarkt verlegt. Der Christbaummarkt hat seinen Platz wiederum am Theater … Zum Schluß möge noch erwähnt sein, daß dieses Mal die Töpfer mit Spielwaren aller Art am Schulplatz halten …“ Für Einschränkungen sorgte erst der Erste Weltkrieg. In dieser Zeit gab es nur ein bescheidenes Angebot, wofür dann der Hauptmarkt ausreichte.
Musste das Meißner Gewerbeamt noch 1918 die Händler ermahnen, für die Beleuchtung der Buden nur feststehende, genügend gesicherte und mit Glaszylinder versehene Lichtquellen zu nutzen, so wurde es dieser Sorge bald durch den Gebrauch elektrischen Lichts enthoben. Das gestattete es auch, am 17. Dezember 1927 den Christmarkt mit einem „Christbaum für alle“ zu schmücken, den elektrische Kerzen erleuchteten.
Welch wichtige Rolle der Christmarkt inzwischen für die städtische Wirtschaft spielte, offenbarte sich in einer heftigen Diskussion der Stadtverordneten im Dezember 1927, als darüber zu beschließen war, dass der Christmarkt am Heiligen Abend nicht mehr erst 19 Uhr, sondern bereits 15 Uhr zu enden habe. Stadtverordneter Lantzsch II hielt dagegen: „Die Maßnahme bedeute unbedingt wirtschaftlichen Ausfall für die Marktfieranten (Markthändler), für die bei der heutigen steuerlichen Belastung jede Beschränkung der Verdienstmöglichkeit eine Härte sei.“ Doch die Änderung wurde dennoch durchgesetzt. Schon wenig später war jedoch die Not durch die Massenarbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise allgemein, so dass die sozialdemokratische Meißner Volks-Zeitung am 24. Dezember 1930 vom „Striezelmarkt“ schrieb: „Ein stimmungsvolles Bild bietet der große Markt mit den Budenreihen. Noch erhebt sich der strahlende Baum in der Mitte über die grauen Dächer der Buden. … Große Geschäfte werden … nicht gemacht. … Die Gassen zwischen den Buden sind meist nur spärlich belebt.“
Bescheidenes Angebot
Es entsprach dem Wesen der Nationalsozialisten, nach ihrer Machtübernahme 1933 auch den Weihnachtsmarkt in ihre „völkische“ Ideologie einzubeziehen. Er wurde nun in Ablehnung christlicher Überlieferungen nur noch als „Striezelmarkt“ bezeichnet und von Nazi-Größen eröffnet. Darauf bedacht, auch während des 1939 begonnenen Zweiten Weltkriegs in der Heimat weitgehend friedliche Verhältnisse aufrechtzuerhalten, blieb er zunächst weiterhin bestehen -allerdings wegen der Luftkriegsgefahr nur bis zum Einbruch der Dunkelheit, ohne Tannenbaum und in bescheidenerer Ausdehnung auf dem Kleinmarkt. Das Angebot bestimmten dabei – so 1940 – statt leckerer Sachen vor allem Glaswaren, Puppen und Bücher.
Noch ärmlicher waren dann die Verhältnisse nach dem Ende des Kriegs 1945. Auch in den Jahren bis 1989 erreichte der Meißner Weihnachtsmarkt nie mehr seine einstige Ausstrahlung. Was noch nach alter Tradition rund zehn Tage vor Weihnachten als „Striezelmarkt“ auf dem Markt geboten wurde, war ein Spiegelbild der DDR-Mangelwirtschaft. Zwar wurde der Weihnachtsmarkt 1956 durch den Porzellanmaler Max Thiele als Motiv für einen Adventskalender der Firma Brück & Sohn entdeckt. Bevor der Kalender aber verkauft werden durfte, gab es die Auflage, die Frauenkirche im Hintergrund zu schwärzen. Der Adventskalender fand danach in kürzester Zeit 20 000 Käufer. Es ist bezeichnend, dass die letzte DDR-Weihnacht ohne einen Weihnachtsmarkt ausklang, während der Markt zum Schauplatz der Demos gegen das System und für Demokratie wurde.
Zu einer Wiederbelebung der Tradition des Meißner Weihnachtsmarktes kam es 1990. Nicht nur die Vielfalt bisher entbehrter Angebote begeisterte. Erstmals wurde der Markt auch vier Wochen vor Weihnachten, am ersten Dezember eröffnet. Nachdem der Markt zunächst bis 1996 unter der Regie von Käte Wohlfahrt aus Rothenburg o. d. Tauber und danach der Meißner Tourist-Information lief, richtet ihn seit 2004 der Meißner Gewerbeverein aus. Als besondere Attraktion gehört seit 2003 der nach einer Idee von Annette und Helmut Brück in den Fenstern des Rathauses installierte Adventskalender dazu. Der Meißner Weihnachtsmarkt glänzt wieder und alles deutet darauf hin, dass sein 200. Jubiläum ein weithin anziehendes Fest werden wird.
Titelfoto: Die Firma Brück & Sohn zeigt auf ihren Adventskalendern eine Fantasie-Version des Weihnachtsmarkts Foto: Repro.
Der Artikel erschien am 17.12.2009 in der Druckausgabe des Meißner Tageblattes.