3. Dezember 2024 17:38

Mehr als nur Dekor fürs Küchenporzellan

Das „Zwiebelmuster“ ist eng mit der Marke Meissen verbunden. Ihm wird in der Manufaktur eine Ausstellung gewidmet. Das Dekor vereint Symbole der asiatischen und europäischen Kultur.

Kaum etwas anderes steht so sehr für die Meissener Porzellan-Manufaktur wie dieses Dekor: Das kobaltblaue Zwiebelmuster ist weltbekannt, quasi ein Markenzeichen der Marke „Meissen“. Und fast so alt wie die Manufaktur selbst: Seit etwa 1739 wird es als Unterglasurdekor handgemalt. Seine Gestaltung geht auf ein ostasiatisches Motiv zurück.

Interessant sind die Symbole und Sinnbilder, die das Zwiebelmuster in seiner Farbkombination, seiner Gliederung und seinen Naturmotiven enthält. Genuss und Vergnügen bereitet es, sie zu sehen, zu verstehen und zu decodieren.

In der Gestaltung dominiert eine Kombination aus Kreis, Oktogon und Quadrat. Sie beruht auf uralten Traditionen sowohl der ostasiatischen als auch der europäischen Kulturgeschichte. Kreis, Oktogon und Quadrat versinnbildlichen ein Seins-Modell: Sie stehen von alters her für den Umwandlungsprozess von einem Seins-Zustand in einen anderen, für einen Übergang vom Jenseitigen und Übersinnlichen zum Diesseitigen oder umgekehrt. Das Zwiebelmuster entstand zu einer Zeit, als auch in Europa Künstler und Handwerker vorwiegend mit Allegorien und Symbolen arbeiteten. Farben, Pflanzen, Tiere, geometrische Gebilde wurden mit bestimmten geistigen, moralischen, politischen oder anderen Bedeutungen versehen, die uns heute mitunter kaum noch bekannt sind.

Der Kreis ist Grundlage uralter Ornamentformen. Als eine immer wieder zu sich selbst zurückkehrende Linie ohne Anfang und Ende galt er als Symbol der Unendlichkeit, des Kosmos, des Himmels und der immerwährenden Zeit. Das Quadrat steht vor allem für die Erde, den menschlich begrenzten Raum, das irdische Leben. Es ist Ausdruck der Zahl Vier: der Zahl der Welt, die aus den vier Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser besteht, sich in vier Weltrichtungen ausdehnt und deren Zeitablauf sich nach den vier Jahreszeiten richtet. Das Oktogon vermittelt zwischen Kreis und Quadrat und damit zwischen Himmel und Erde. Mit ihm beginnt die „Quadratur des Kreises“, der Übergang und die Verwandlung von einer Seins-Ebene in eine andere. Oktogonal gegliedert sind viele Taufbecken, Taufkirchen, Leuchter, Mausoleen … In Ostasien waren Opferschalen und Räuchergefäße meist oktogonal gestaltet.

Ursprünglich wurde das Zwiebelmuster auf glattrandigen, kreisförmigen Tellern und Schalen verwendet. Erst ab 1745 „wanderte“ das Dekor auf die Gefäßformen des alten bzw. des neuen „Ausschnitts“ von Johann Joachim Kaendler über. Der „Ausschnitt“ bezieht sich hier auf das Ausschneiden der gebogten Randsegmente aus dem ursprünglichen Rund. Das Motiv der zwei Doppelkreise blieb aber dennoch zwischen Tellermitte und Tellerrand erhalten.

Die acht miteinander verbundenen gemalten Früchte auf dem Tellerrand ergeben ein Oktogon. Die lineare Verbindung der jeweils vier gleichen Früchte bilden ein Quadrat. Gleiches gilt für die vier segmentierten Lotosblütenteile des Dekors. Drei Quadrate ergeben als 3 x 4 die Zahl Zwölf, die wiederum für vollkommene Harmonie steht. Kreis, Oktogon und Quadrate umschließen ein Zentrum, in dem Himmel und Erde miteinander kommunizieren. Zentrum und Mitte im Spiegel der Dekoration ist der „vollkommene Mensch“, eins mit dem Universum, dargestellt mittels abstrahierter Naturmotive.

Das ostasiatische Vorbild des Zwiebelmuster-Dekors hat eine etwas andere Gliederung. Dort ist die Randzone zwölffach geteilt. Es gibt drei gleiche Einzelblüten, drei gleiche Blätter, mit Granatapfel, Pfirsich und Zitrone drei verschiedene Früchte und drei mehrfache Blütenformen.

Im Meissener Zwiebelmuster verschmolzen schließlich ostasiatische und europäische Gestaltungsweisen, die auf ähnlichen Seins-Vorstellungen beruhten. Die Details von Früchten, Bäumen, Blüten usw. wurden von ostasiatischen Dekoren und von europäischen Kupferstichen mit Darstellungen ostasiatischer Pflanzen und Früchte übernommen. Hier diente wahrscheinlich George Meisters 1692 in Dresden erschienenes Buch „Der Orientalisch-Indianische Kunst- und Lust-Gärtner“ als Quelle. Sein Autor war der elfte Deutsche, der japanisches Land betrat, und der erste Europäer, der ausschließlich wegen des Pflanzenstudiums nach Japan reiste. Noch weitere Werke kommen als Vorlagen in Frage: zum Beispiel Johann Christoph Volkamers 1708 veröffentlichte „Nürnbergische Hesperides…Citronen- und Pomerantzen-Früchte…“ oder Johann Wilhelm Weinmanns „Phytantosa Iconographia…“ von 1737.

Das ostasiatische Dekor stellt die „drei gesegneten Früchte“ Pfirsich, Granatapfel und Citrusfrucht dar. Der Pfirsich stand für Langlebigkeit, der Granatapfel für Fruchtbarkeit und die Citrusfrucht galt allgemein als Buddhazeichen und Lebenssymbol des Erleuchtetseins. Alle drei Früchte waren im 17. und 18. Jahrhundert auch in Europa bekannt. Sie wurden in den fürstlichen Orangerien gezogen und in den Gärten zur Schau gestellt.

In der Architektur des Dresdner Zwingers hatten die „Hesperidenfrüchte“ eine wichtige Bedeutung. Die Figur des Herkules ist zentral für die Gestaltung des Zwingers. Sie ist auf dem Wallpavillon dargestellt und trägt dort anstelle des Titanen Atlas die Weltkugel. Atlas kann dadurch die goldenen Äpfel der Hesperiden herbeischaffen. Er weigert sich jedoch, sie auszuhändigen: Herkules wendet eine List an, um die Hesperidenfrüchte in seinen Besitz zu bringen. Sie werden im Zwingergarten für den sächsischen Herkules, den regierenden Wettiner-Fürsten, im Schutz einer glanzvollen Architektur vom Helden Herkules gehütet. Der zwischen 1710 und 1728 errichtete Dresdner Zwinger war Arena, Orangerie und Garten in einem. Unter den Rundbogenfenstern der Bogengalerien befanden sich Standflächen für diverse exotische Gewächse.

In der kurfürstlich-sächsischen Porzellan-Manufaktur in Meißen wurde schon bald nach Gründung, das heißt um 1730, ein ostasiatisches Dekor in kobaltblauer Farbe gemalt. Ab 1739 wurde es relativ sicher gehandhabt: So gibt man nun dieses Jahr als Entstehungszeit des „Zwiebelmusters“ an. In den frühen Versionen waren noch drei verschiedene Früchte erkennbar. Schließlich setzte sich aber die Variante mit nur zwei Früchten, Pfirsich und Granatapfel, durch. Die Figur des Granatapfels verschmolz mit der der Citrusfrucht – namentlich der Melonen-Tiger- bzw. Kürbiszitrone, die im Weinmannschen Pflanzenbuch abgebildet ist. Die Mischform beruht wohl auf einem Bedeutungswandel der „Hesperidenfrüchte“ im europäischen Verständnis. Nach europäischen Bräuchen war es einst üblich, bei Beerdigungen den Friedhof mit einer Zitrone in der Hand zu betreten: Die Frucht war ein Lebenssymbol. Der Granatapfel stand dagegen seit langem als Symbol für Fruchtbarkeit und als Zeichen von Vielfalt in der Einheit.

Im 18. Jahrhundert wurde das heutige Meissener „Zwiebelmuster“ als „bleu ordinaire“ bezeichnet. „Ordinaire“ bedeutet einerseits „einfach“ im Sinne der blauen Einfarbigkeit. Andererseits steckt in dem Begriff auch der Aspekt der „Order“, der Anordnung des Musters, das immer gleich strukturiert sein musste. Das Zwiebelmuster ist feststehend und nicht veränderbar.

Der Begriff „Zwiebelmuster“ entstand vermutlich erst im 19. Jahrhundert. Seine genaue Herkunft ist jedoch nicht gesichert. Vor allem die Form des Granatapfels sieht einer Zwiebel ähnlich: Davon könnte sich die Bezeichnung herleiten. Denkbar ist auch die Verwendung des Dekors in späteren Druckverfahren: In der Druckerzunft steht der Begriff „Zwiebelfisch“ für einen falsch verlegten Buchstaben in einem Schriftsatz.

Noch einmal zurück zur Gestaltung des Dekors: In seinem Zentrum sind links der Bambus und rechts die Lotosblüte dargestellt – ein „Yin“ und „Yang“, das weibliche und das männliche Prinzip der Langlebigkeit.

Der Bambus ist in Ostasien Sinnbild für Standhaftigkeit und gleichzeitig geschmeidige Biegsamkeit, widerstandsfähige Kraft und die Verkörperung des „vollkommenen Menschen“, der sich vor den Stürmen des Lebens beugt, aber nicht zerbricht und sich stets wieder erhebt. Der Lotos gilt als Blume des Lichts, die durch das Zusammenwirken des Feuers der Sonne und der Macht des Wassers entstand. Durch seinen Ursprung aus Sonne und Wasser symbolisiert er Geist und Materie. Lotosblüten öffnen sich mit Sonnenaufgang und schließen sich bei Sonnenuntergang: Sie stehen damit für die Wiedergeburt der Sonne und für alle Wiederkehr, für Erneuerung und Unsterblichkeit. Auf das Meissener Zwiebelmuster und seine Symbolik bezogen: Im Zentrum steht mit Bambus und Lotos der „vollkommene Mensch“, der sich im Einklang mit den kosmischen Kräften befindet.

So viel Bedeutung in dem, was man zur Genüge zu kennen meint! Das Meissener Zwiebelmuster vereint asiatische und europäische Kulturtraditionen. Schon deshalb verdient es Aufmerksamkeit. Aktuell findet das traditionelle Dekor eher wenig Beachtung und Käufer. Doch es ist eben weit mehr als ein „Küchenporzellanmuster“. Interesse kann die tiefere Bedeutung der Dinge wecken: Wir sehen nur das, was wir wissen!

Ab dem 1. Februar zeigt das Museum der Meissen Porzellan-Stiftung im Stammhaus der Manufaktur die Ausstellung „Falsche Früchte auf echtem Meissener – Zur Geschichte des Zwiebelmusters“. Schaustücke aus dem Bestand der Stiftung werden mit Leihgaben ergänzt. Die Sonderausstellung wird bis zum Jahresende gezeigt und ist mit der Museums-Eintrittskarte zugänglich. Es werden auch Sonderführungen angeboten.

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