21. November 2024 10:41

„Neue Sorge“ lag nahe an Meißens Richtplatz

Zeugen der Stadtgeschichte: Das Galgengut

Wer nur wenig Ortskenntnis hat, wird es suchen müssen: Die Kennzeichnung als „Kynastweg 12“ ist eher verwirrend als hilfreich. Tatsächlich liegt das Galgengut abseits davon und seit dem Jahr 2000 in Nähe der neuen Straßenführung „An der Grubenbahn“. Den ländlich-idyllischen Zugang von der Jahnastraße durch den Rossgrund, wie ihn ältere Beschreibungen empfehlen, wird man vergebens suchen. Es gibt ihn nicht mehr.

Früher sachliche statt gruselige Namen

Auch der Heimathistoriker kann auf Abwege geraten: wenn er nicht weiß, dass man einst der gruseligen Bezeichnung sachlichere Benennungen vorzog. „Schrebersches Gut“ nannte man das Galgengut nach einem der früheren Besitzer, „Obergut“ als Kennzeichnung der Höhenlage, „Ratsgut“ beziehungsweise „Ratsvorwerk“ für die städtische Nutzung oder „Neue Sorge“ für die damit verbundenen Probleme der Stadtväter.

Als das Ratskollegium 1685 das Gut von dem Meißner Advokaten David Schreber käuflich erwarb, versprach man sich offenbar davon gute Einnahmen. Doch die Praxis, städtischen Besitz an Ratsmitglieder oder deren Verwandte in Pacht zu geben (so das Schrebersche Gut beispielsweise 1697 – 1703 an den Ratsherrn Johann Heroldt) war der Stadtkasse wenig dienlich und rasch Ursache der Gutsbezeichnung „Die neue Sorge“. Erst die 1714 von August dem Starken eingeleitete Untersuchung der städtischen Misswirtschaft führte zu einer Änderung. Durch öffentliche Bekanntmachung wurde neben Meißner Geschäftsleuten, wie den Gastwirten Christoph Kohlstock vom „Ring“ (1733 – 1739) und Gottfried Reiche vom „Goldenen Schiff“ (1739 – 1745), auch Auswärtigen der in der Regel sechsjährige Pachtvertrag zugestanden. Pächter des Galgenguts wurden so zum Beispiel Paul Zschoche aus Graupzig (1721 – 1727), Gottfried Lehmann aus Ziegenhain (1754 – 1777), Johann Gottfried Röger aus Cölln (1789 – 1795), Christian Schröter aus Löthain (1795 – 1801), der Verwalter des Rittergutes Boden bei Radeburg, Christian Rudloff (1815 – 1817) oder der Gutsverwalter des Rittergutes Baselitz, Friedrich Wilhelm Pietzsch (1820/21).

Seit 1715 war mit dem Ober- oder Ratsgut auch die Pacht des städtischen Marstalls in der Görnischen Gasse samt Ställen, Feldern und bis 1732 der Rats-Mahlmühle verbunden. So ergab sich ein beträchtlicher Landwirtschaftsbetrieb. Allein zum Galgengut gehörten Feldstücke nach Niedermeisa und Kynast zu, das Feld am Hochgericht („Stipende“ genannt), die „Schanze“ an der Stelle des heutigen Stadtfriedhofs, der „Krautwinkel“ unterhalb davon, die Ziegelwiese in Neudörfchen, ein Hopfenberg auf der Fischergasse sowie ein Weinberg beim Hochgericht, der jedoch nach erheblichen Frostschäden 1733 in Feld umgewandelt wurde. Hinzu kamen erhebliche Lasten an Getreidelieferungen und Fuhrleistungen, so dass die außer der Kaution fällige Pacht von zuletzt 775 Reichstalern, die vierteljährlich im Voraus zu entrichten war, eine gute Wirtschaftsführung erforderte. Offenbar waren sich jedoch die meisten Pächter dessen nicht bewusst, so dass die „Neue Sorge“ der Stadt nur wenig Freude bereitete. Bereits Paul Zschoche, der erste Pächter, der nicht der städtischen Obrigkeit angehörte, sah sich bald überfordert. Er ersuchte 1722 beim Kurfürsten um Minderung der Verpflichtungen und ein Zugeständnis von Back- und Brennholz, da die Pacht zu hoch und er unbedacht den Pachtvertrag eingegangen sei. Doch ihm wurde Misswirtschaft nachgesagt und der Pachtrückstand mit Einbringung in die Fronfeste geahndet. Besonders unfähig muss sich Rudloff geführt haben, dem man nachsagte, das Gut heruntergewirtschaftet zu haben. Er hatte die Feldwirtschaft vernachlässigt und die Pferde so schlecht versorgt, dass er die verlangten Fuhren nicht zu erbringen vermochte.

Es gab aber auch zu viele Geschehnisse, die die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigten. Für diese Fälle räumte der Pachtvertrag dem Pächter Vergünstigungen ein, was aber die Lasten der Stadt nur erhöhte. Einerseits waren es die Naturgewalten, wie die Missernte 1723 oder die Elbefluten von 1785 und 1815, wodurch die Ziegelwiese verschlammte. Andererseits verheerten Kriegsereignisse das Obergut, das durch seine verdeckte Höhenlage nahe der Straße Meißen – Freiberg von militärischem Interesse war. Das traf vor allem auf die preußischen Kriegshandlungen zu, die zwischen 1745 und 1763 die Gegend heimsuchten und das Obergut während des Gefechtes bei Löthain am 21. September 1759 unmittelbar berührten. Im Folgejahr führte allein das Heerlager bei Schletta, wo der Preußenkönig Friedrich der Große vom 25. April bis 15. Juni 1760 Quartier bezog, durch die rigorose „Selbstversorgung“ zur Verwüstung von elf Feldern und drei Wiesen, wie eine städtische Kommission feststellte. Ab 1761 gehörte dann der Gutsbereich zum ausgebauten Verteidigungssystem der Preußen zwischen Meißen und Nossen. Nicht viel weniger verheerend benahm sich 1815 das russische Militär der Befreiungskriege, das beim Marsch querfeldein fünf Scheffel Sommerrübsen zertrampelte und die Einquartierung im Obergut zu Demolierungen und Beschlagnahmen nutzte.

Aus dem Stadtgut wurde ein Wohnhaus

Eine friedlichere Zeit war den letzten Pächtern beschieden, von denen Johann Gottfried Krell (1821 bis 1842) die beste Bewirtschaftung erzielte. Das galt, obwohl er das Gut 1821 verwildert übernahm, im Juli 1822 ein ungewöhnliches Hagelwetter bis drei Viertel der Ernte vernichtete und 1828 eine Feuersbrunst das Galgengut zerstörte. Doch neue Erwägungen zur Wirtschaftlichkeit bewegten schließlich die Stadtväter zur Aufgabe des Stadtgutes und zum Verkauf der Ländereien. Nachdem Erwägungen, das Obergut als Arbeitsanstalt oder Garnisonslazarett einzurichten, 1872 auf Ablehnung gestoßen waren, entschied man sich für eine Nutzung als Wohnhaus. Auf den letzten Pächter Naumann folgten die ersten Mieter.

Von nun an war viel Leben im Haus. 1880 war es bereits von elf Mietern bewohnt. Später waren es durchschnittlich 15 und 1950 gar 22. Bedeutende Persönlichkeiten fanden sich jedoch nicht darunter. Vorwiegend waren hier Arbeiterfamilien zu Hause, denen allerdings schon beizeiten ein Schutzmann als Hausverwalter zugeordnet wurde.

Das Galgengut in noch bewohntem Zustand
Das Galgengut in noch bewohntem Zustand. Foto: Gerhard Steinecke

Es muss der Ruf dieser einfachen Mieter gewesen sein, der den Namen „Galgengut“ in den Vordergrund rückte. Jener war bisher offiziell gemieden worden. Aber die städtische Richtstätte lag nicht nur in Sichtnähe des Oberguts, sondern auch inmitten seiner Felder, auf dem heutigen Grundstück „Am Hohen Gericht 2a“. Wie schaurig der Anblick war, beschrieb die bekannte Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters: „Es war ein Halbrundbau aus Sandsteinen mit drei in die Lüfte ragenden schmalen Säulen – die zum Tode durch den Strang Verurteilten wurden dort aufgeknüpft. Innen in der Rundung stand das Rad, das einst zum Rädern gedient hatte. Da Hängen und Rädern schon längst abgekommen und die Todesurteile durch das Schwert von dem Scharfrichter vollzogen wurden, auf einem jedesmal eigens dazu in der Nähe errichteten Schafott – so diente der Galgen nur zur Begräbnisstätte der Gerichteten; die Köpfe wurden weit sichtbar vorher dort aufgesteckt, die Körper auf das Rad geflochten.“ Noch heute sind hin und wieder Gebeine der dort Verscharrten zu finden, wie 1990 auf dem Grundstück „Am Hohen Gericht 5“. Zudem war man auf dem Obergut unvermeidlicher Augen- und Ohrenzeuge des Hinrichtungsgetümmels, das sich von der Stadt aus hierher bewegte und viele Schaulustige anzog.

Louise Otto-Peters überlieferte auch davon eindrucksvolle Erinnerungen: „Alle Scharfrichter aus dem Lande, ganz in Schwarz gekleidet, Schwerter am Gürtel, ritten auf mit Schwarz und Silber gezäumten Pferden … Derjenige von ihnen, den ‚die Ehre‘ traf, das Urteil zu vollziehen, ritt voran mit schon entblößtem Schwert. … Oben auf dem Schlossplatz, vor dem herrlichen Dom, war das Halsgericht gehalten, der Stab über den Verurteilten gebrochen und er dann auf dem ‚Schinderkarren‘, während das Armesünderglöcklein läutete, hinausgefahren zur Richtstatt. Dorthin konnte jedermann, und Tausende hatten sich eingefunden …“ Die letzte Hinrichtung fand dort 1829 statt. Und schon im Folgejahr wurde die Richtstätte abgetragen, 1844 dann versteigert. 1845 verschwand auch der noch verbliebene Radgalgen. Dennoch blieb das Obergut umgangssprachlich ein „Galgengut“. Dazu kam noch die Ausdeutung, es sei der Wohnsitz des Henkers gewesen, obwohl diesem „unehrlichen“ Beruf nie das Stadtgut anvertraut worden wäre und er außerhalb der Stadt, in Vorbrücke, ansässig war.

Heute steht das Galgengut leer

Inzwischen ist das Interesse am „Galgengut“ erloschen. Der Gebäudekomplex ist zwar architektonisch ohne Denkmalwert und deshalb aus der Denkmalliste gestrichen, aber noch relativ gut erhalten. Er ist mit seinen elf Wohnungen von insgesamt 522 Quadratmeter zum unbewohnten Geisterhaus geworden. Auch ein Verkaufsangebot für 120.000 Euro lockte keine Käufer, so dass der Dornröschenschlaf im Abbruch zu enden droht. Doch noch sind nicht alle Träume ausgeträumt, dass das alte Stadtgut in drei Jahren das 325. Jubiläum im Stadtbesitz feiern könnte – ohne die „Neue Sorge“ zu sein.

Foto 1: Das Bild eines unbekannten Malers zeigt die Meißner Richtstätte. Foto: Repro.

Der Artikel erschien am 12.04.2007 in der Druckausgabe des Meißner Tageblattes.

Auf dem Gelände des ehemaligen Galgengutes befindet sich heute eine Neubausiedlung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern.

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