21. Dezember 2024 17:10

Feierhalle im Stil der „Neuen Sachlichkeit“

Zeugen der Stadtgeschichte: Der Friedhof an der Nossener Straße (2)

Der Rundgang über den Friedhof, der im letzten Beitrag beschrieben war, endete am sogenannten „Pulverdenkmal“. Wenn man sich vom „Pulverdenkmal“ wieder zurückbegibt und auf den zweiten Seitenweg rechts einbiegt, findet man rechter Hand auf halbem Wege Richtung Kapelle die Grabstätte der Kaufmannsfamilie Seyfried. Deren Glas-, Porzellan- und Haushaltwarengeschäft in der Görnischen Gasse 22 wurde 1924 von Walter Seyfried eröffnet. Bis 2004 war es im Familienbesitz. Gegenüber haben mehrere Geistliche ihre letzte Ruhe gefunden: die Pfarrer der Frauenkirche Limbach (1949 – 1976) und Hoffmann (1930 – 1961) sowie der kämpferische Superintendent Klemm (1951 – 1973). Dahinter finden wir die Grabstätten des Frauenkirch-Pfarrers Lampadius (1877 – 1906) und des regimekritischen Direktors der Evangelischen Akademie Ackermann (1983 – 1985).

Ruhestätten bekannter Meißner

Wer zurück zur inneren Friedhofsmauer und an ihr talwärts entlang geht, erreicht am Abzweig des dritten Seitenweges die Ruhestätte von Karl August Brück. Er führte das 1793 begründete Familienunternehmen in der Burgstraße in der zweiten Generation und machte sich zudem als Stadtrat verdient. Von hier aus können wir noch einmal einen Blick auf die Grabmale von Lampadius und Ackermann richten, bevor wir nach links in die Hauptallee und von da wieder links in den vierten Seitenweg einbiegen.

Dort passiert man auf dem Rückweg zur inneren Friedhofsmauer linker Hand die Grabstätten der Familie Reibig. Zuerst von Helmut Reibig, dem am 16. Oktober dieses Jahres verstorbenen Stadtarchivar der Jahre 1946 bis 1988, dann das seines Bruders Wolfgang, Chemielehrer an der Oberschule auf dem Ratsweinberg. Einige Schritte danach stoßen wir auf die Ruhestätte des Ehepaares Schade, vielen Generationen bekannt als Tanzstundenlehrer. Herbert Schade hatte die 1894 begründete Tanzschule seines Vaters 1934 übernommen, nachdem er zuvor als Ballettmeister der Dresdner Oper tätig war. Er führte sie mit seiner Ehefrau Dorle über alle Schwierigkeiten von Krieg und Nachkrieg bis zum Tode. Die Schule war der Inbegriff des „guten Benehmens“, das mit den Tanzschritten im „Hamburger Hof“ vermittelt wurde.

Weiter geht es entlang der inneren Friedhofsmauer, nun zum unteren Teil des Friedhofs, der an das Jahnatal angrenzt. Hinter dem sechsten Seitenweg führt ein etwas verdeckter Zugang zu einem schmaleren Parallelweg. Wer nun rechter Hand einen kleinen, abgegrenzten Gräberhain passiert und an den folgenden Gräberreihen zählend vorbeischreitet, findet schließlich nach einer Hecke in der vierten Grabreihe rechts das Grab von Emil Zöllner. Seiner Bescheidenheit entspricht der kleine Grabstein, seiner Heimatverbundenheit der Text „Lehrer und Forscher, Dichter der Elbe“ und das symbolische Schiff. Von hier geradeaus zum Hauptweg und von dort links zur Friedhofsmauer stößt man rechts im Winkel zum letzten Seitenweg am Grab des Frauenkirch-Pfarrers Zeidler auf eine weitere Erinnerung an einstige Heimatliebe. Sie bezieht sich auf dessen Sohn Benno Zeidler. Der Lehrer setzte Meißen in vielen Aufsätzen und Gedichten ein Denkmal, fand seine letzte Ruhe aber 1954 in Karstadt in der Prignitz.

Wiese wirkt wie ein Park

Auf dem Rückweg in Richtung Kapelle ist links an der Ecke des vorletzten Seitenweges das Grab von Walter Sammet erwähnenswert. Der Kommunisten tat sich vor 1933 durch linksradikalen Aktionismus und nach 1945 als erster Leiter der Meißner Dienststelle der Staatssicherheit hervor. Danach lohnt es sich, vom nächsten oder übernächsten Seitenweg aus einen Blick auf eine beschauliche Gruppe von Grabplastiken zu werfen. Vor dem Hintergrund des Krematoriums-Schornsteins verleihen sie einer Wiese den Charakter eines Parks. Hinter einem mächtig hochragenden Granitblock steht der Grabmalrest für die Familie Heyde – bekannt als erstes Meißner Taxiunternehmen – mit einer an einem Grabkreuz trauernden Frau und dahinter die Kleinplastik eines betenden Kindes.

Jetzt zieht der Komplex des Krematoriums die Blicke auf sich. Wir treten in den Bereich zwischen den Urnenmauern, das Kolumbarium, ein. Mit dieser 1936/38 entstandenen Anlage fand der Krematoriumsbau im Wesentlichen seinen Abschluss. 1911 wurde ein bürgerlicher Feuerbestattungsvereins gegründet. Auch die Freidenker strebten den Bau eines Krematoriums an. Nicht nur kulturgeschichtlich ist das Vorhaben bedeutend, seine architektonisch-künstlerische Gestaltung macht den Bau ebenfalls zum Denkmal. Bereits der Blick auf die Eingangsfront der 1931 eingeweihten Feierhalle macht das deutlich. Sie entstand nach einem Entwurf des Baumeisters Vogel im Stile der Neuen Sachlichkeit. Prof. Paul Börner, damals technischer und künstlerischer Leiter der Porzellan-Manufaktur, versah sie mit plastischr Gestaltung: der Aufstieg der Seele aus der körperlichen Hülle. Doch auch in der Innengestaltung sind viele Details bemerkenswert, zum Beispiel ein 1932 eingebautes Porzellanglockenspiel. Die vielen Gedächtnisfeiern, an denen über lange Zeit besonders Georg Stejskal (Orgel) und Marianne Reiche (Gesang) mitwirkten, waren oft bedeutsame Veranstaltungen. Erwähnenswert ist die für Käthe Kollwitz am 25. November 1945. Heute wird die Feierhalle auch Andersgläubigen überlassen, der Einzugsbereich des Krematoriums hat sich erweitert. Unter anderem wurden hier Erich Mielke, Lotte Ulbricht, Clown Ferdinand und der Schauspieler Rolf Ludwig der Feuerbestattung anvertraut.

Ganz in der Nähe des Krematoriums, sort wo die Friedhofsmauer gegenwärtig durch eine Lücke unterbrochen ist, geschah im März/April 1945 ein Verbrechen der Nationalsozialisten. Sie erschossen dort 16 ausländische Zivilarbeiter ohne gerichtliche Verurteilung. Die hier verscharrten Urnen wurden erst 1964 in einem Gedenkhain des Neuen Johannesfriedhofes würdig beigesetzt.

Bildhauer erinnerte an seinen Sohn

Vom Verwaltungsgebäude des Krematoriums erreicht man geradewegs die den Zufahrtsbereich abgrenzende Friedhofsmauer. Zwischen den sehr verwilderten Grabstätten der Familien Kleeberg (Zigarrenfabrik Görnische Gasse 27) und Klinkicht (Herausgeber des Meißner Tageblatts) steht das eindrucksvolle Plastikrelief „Grablegung“. Es handelt sich um eine bedeutende Arbeit des Meißner Bildhauers Georg Bauch für die Familiengrabstätte. Bauch erinnerte an den Tod seines 19-jährigen Sohnes Curt Wilhelm 1942 auf dem Kasernenhof in Kornwestheim-Stuttgart. Der Bildhauer lebte seit seinem Studium nicht mehr in Meißen. Er war mit einer Jüdin verheiratet und flüchtete deshalb 1943 unter Lebensgefahr in die Schweiz.    

Wieder an der Friedhofsmauer zur Nossener Straße angelangt, steht man nach wenigen Schritten vor der Ruhestätte der dritten Schumannschen Kaufmannsgeneration: Inhaber des Geschäfts in der Elbstraße 1 und Eltern von Hans-Georg Schumann. Hier wurden Familienangehörige Opfer des Ersten Weltkriegs. Schräg gegenüber verweist das Familiengrab Püschel auf die lebensvernichtende Konsequenz der nationalsozialistischen Ideologie. d Verlagsbuchhändler Hermann Püschel von der Hirschbergstraße 2 war ein begeisterter Hitler-Anhänger und SS-Angehöriger. Er beging am 25. April 1945 Selbstmord. Seine beiden Söhne fanden als Soldaten den Tod, der jüngere 19-jährig noch am letzten Tag des Krieges, dem 8. Mai 1945.

Familiengrab Bildhauer Georg Bauch
Der Bildhauer Georg Bauch schuf diese Figuren für das Familiengrab. Foto: Archiv

Es ist deshalb wohltuend, den Rundgang mit einer Ehrung verdienter Meißner Bürger abschließen zu können, die sich zuvor in einer Zeit tatkräftiger Gestaltung und sozialer Besinnung verdient machten. Das nachfolgende Grab ist die Ruhestätte des Ehrenbürgers Dr. Max Ay. Er war von 1896 bis 1926, in Monarchie und Republik, gegen und mit Sozialdemokratie sowie in Umbruchs- und schwierigster Kriegs- und Nachkriegszeit sach- und fachgerechter Oberbürgermeister. Einige Schritte der Wiese zu, gegenüber dem Giebel des Wirtschafts- und Sozialgebäudes der Friedhofmeisterei, finden sich drei Gräber der dritten und vierten Kaufmannsgeneration der Familie Brück, darunter der Firmeninhaber Julius, Mitbegründer des Kreditvereins, und Oscar, Begründer des Ansichtskartenverlags. Wenden wir uns jetzt zurück, dem Giebel zu, stehen wir schließlich vor der Grabstätte Loose. Nur noch mühsam ist es lesbar: Es ist auch die letzte Ruhestätte des Begründers des Meißner Geschichtsvereins Prof. Dr. Wilhelm Loose, der auch Direktor der Realschule war.

Die Ruhestätte von Dr. Max Ay, dem früheren Oberbürgermeister
Die Ruhestätte von Dr. Max Ay, dem früheren Oberbürgermeister. Foto: Archiv

Friedhof in ständiger Veränderung

Der Rundgang ist nun zu Ende, auch wenn er nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Es war unmöglich, alle bemerkenswerten Grabstätten zu berühren. Das Werden und Vergehen wird selbst für ständige Veränderungen sorgen. So ist beispielsweise das Grab des Bürgermeisters Willy Anker seit kurzem nicht mehr auffindbar, obwohl ihm am Rathaus eine Gedenktafel gewidmet werden soll. Mag der Rundgang deshalb dazu angetan sein, die Empfindsamkeit für Erinnerungen zu wecken.

Foto 1: Das Krematorium besticht durch seine klare Architektur. so sah es etwa in den 30er Jahren aus. Foto: Repro.

Der Artikel erschien am 30.11.2006 in der Druckausgabe des Meißner Tageblattes.

 

Inhalt

Schlagwörter für diesen Beitrag