21. Dezember 2024 13:42

Die Zeitung und die Denkmalpflege

Von den Meißner Anfängen einer gesellschaftlichen Aufgabe

Am 10. Juni 1834 gab der Stadtrat im Meißner Gemeinnützigen Wochenblatt bekannt, dass die Abtragung des Lommatzscher Tores beschlossen worden sei. Man wollte eine „leichtere und bequemere Ein- und Durchfahrt“ schaffen. Zugleich wird, wie wir heute sagen, der Auftrag ausgeschrieben. Es heißt: „Das Abtragen soll den Mindestfordernden in Akkord gegeben und das dabei gewonnene Material letzterem mit überlassen werden.“

Es ist nicht das erste der Meißner Stadttore, das fallen sollte. Bereits 1825/26 war das stadtseitige Brückentor abgetragen worden. Es sei das stattlichste gewesen, berichten Zeitgenossen, etwa 24 Meter hoch, aber zum letzten Mal erneuert im Jahre 1510! Nun sei es baufällig, hatte Amtszimmermeister Adam dem Kreisamt gemeldet. Das setzte einen Lokaltermin an, und es heißt, dass der Rat versucht habe, das Bauwerk zu erhalten, nicht um etwa Abbruchkosten zu sparen. Genannt werden andere Gründe: Nachdem einige Jahre zuvor der mit prächtigen Renaissancegiebeln gezierte Zollturm auf Cöllner Seite gefallen sei, solle nun nicht auch noch „der andere Hüter der Brücke zum Tode verurteilt“ werden. So berichtet es Helmuth Gröger in „1000 Jahre Meißen“. Aber es war weder Geld da, um die Durchfahrt zu verbreitern, noch zu einer ebenso geforderten baulichen Verschönerung!

Eigentlich ja nicht mal für den Abbruch, teilte der Rat mit. Doch retten konnte er das Bauwerk nicht. Interessant ist, dass bereits damals – aus welchen Zwängen auch immer – Ansätze denkmalpflegerischer Argumente öffentlich erörtert werden. Im Zusammenhang mit dem Schleifen der Stadttore spielen sie jedoch keine Rolle. Dennoch wird im Wochenblatt heftig darüber debattiert. Es geht darum, dass es Unsinn sei, die Stadt zu nächtlicher Stunde abzusperren, was inV Notfällen zu unnötigen Verzögerungen führe. 1829 beklagt man die Willkür der Torwachen und Acciseeinnehmer, und noch 1834 richtet sich eine Eingabe gegen Torschluss und Torgeld, „das so gar keinen Nutzen mehr habe“. Die Diskutanten sprechen sich stets für den Abbruch aus und begrüßen ihn, nachdem er erfolgt ist. Die „freie, schöne Brücke“ spreche nun jeden in die Stadt Eintretenden freundlich an, heißt es, während sich anderswo noch die Türme dunkel und verräuchert vor ihm aufbauen! 1836 fällt das Görnische Tor und bald darauf als letzte auch das Fleischer- und das Jüdentor am Rossmarkt.

Doch gerade jene Zeit wird zum Ausgangspunkt für eine größere Sensibilität im Umgang mit dem baulichen Erbe. Klinkichts Wochenblatt spielt dabei keine unwesentliche Rolle. Stadtpfarrer Beatus Kenzelmann, der sich in dem Blatt schon mehrfach zu unterschiedlichen Themen zu Wort gemeldet hatte, machte 1833 auf die architektonische Schönheit des Brauhauses am Tuchmachertor aufmerksam, erklärte seine Geschichte, die Schmuckelemente der Renaissancefassade sowie die an der Wand angebrachten Sprüche. Er tat das, wie es scheint, ohne besonderen Grund, aber er wohnte gegenüber und hat sich vielleicht immer wieder an dem schmucken Gebäude erfreut.

1836 druckt das Blatt eine ministerielle Bekanntmachung der Regierung, „die Erhaltung für Kunst und Geschichte merkwürdiger Alterthümer betreffend“. Die dürfen wir als Vorläufer einer modernen Denkmalpflege betrachten, denn darin werden u. a. konkrete Anregungen für den Umgang mit dem baulichen Erbe gegeben und Teile der Aufgabe auch der Verantwortung des Einzelnen anheim gestellt. Wenn altertümliche Bauwerke einen neuen Anstrich oder andere Verbesserungen erhalten müssen, heißt es da, solle das „nur unter Beirat oder Mitwirkung eines Kunstverständigen erfolgen“. Ornamente, Statuen, Basreliefs, Wappen und alte Inschriften sollten bewahrt werden, und wenn es wirklich nötig sei, ein Gebäude abzureißen, solle man Grund- und Aufrisse von ihm anfertigen und wertvolle baukünstlerische Elemente aufbewahren, möglichst in Rathäusern oder Kirchen. Auch „von Burgen, alten Capellen, Wartthürmen, Wällen, Schanzen und dergleichen“ müssten Aufrisse angefertigt werden, weshalb man „die Aufmerksamkeit auf alte Flur- und Gerichtsbücher, Urkunden, Pergament und Papiere lenkt“, ganz absichtsvoll, da eben manches bereits abhanden gekommen, abgeschlagen oder verschandelt worden sei.

Höhepunkt dieses frühen Bemühens um die Denkmalpflege ist eine Veröffentlichung vom 1. Juni 1842. Angeregt durch die damals begonnene Weiterführung der Arbeiten am Kölner Dom, forderte die Zeitung, auch die am Meißner Dom vor 300 Jahren durch Blitz zerstörte Turmanlage wiederherzustellen. Und da, wie es heißt, die Kräfte des Domkapitels dafür kaum ausreichen dürften, müsse man „die Aufmerksamkeit und den Patriotismus des gesamten Vaterlandes“ darauf lenken, da seine „Wichtigkeit [sich] weit über die Grenzen unserer Stadt erstreckt und eine vaterländische Sache genannt werden darf“. Wenn das 1842 auch noch verhallte, sechs Jahrzehnte später wurde dieser Traum Wirklichkeit.

Jenem Beitrag im Meißner Gemeinnützigen Wochenblatt war übrigens ein Gedicht beigefügt. Sein Titel lautete „Vollendung!“, kurz und knapp wie eine Forderung. Sein Autor wurde nicht genannt. Wir wissen heute, dass es aus der Feder der 23-jährigen Louise Otto stammte, geschrieben am Anfang ihres Werdeganges als Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Es macht sie auch zur Mitstreiterin für einen verantwortungsbewussten Umgang mit den baulichen Zeugen der Vergangenheit.

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