21. November 2024 08:22

Die Meißner Jahre des Künstlers Oskar Zwintscher

Oskar Zwintscher: Der bekannte Maler lebte lange in der Stadt, doch kaum etwas erinnert in Meißen an ihn

In Meißen gibt es kein Denkmal und keine Straße ist nach ihm benannt. Und doch ist das Wirken des Malers Oskar Zwintscher eng mit der Stadt verbunden. Was hat den 1870 in Leipzig geborenen und 1916 in Dresden verstorbenen Künstler in die Stadt gebracht und viele Jahre hier gehalten? Dr. Hans Sonntag geht den Spuren nach, die jener Maler in Meißen hinterließ, der die Zeit seines größten Ruhms von 1904 bis zu seinem Tod als Professor an der Dresdner Kunstakademie fand.

Im malerischen und zeichnerischen Werk von Oskar Zwintscher werden die Stadt Meißen, ihre Architektur, ihre Landschaft und die nähere Umgebung bis Diesbar und Scharfenberg eindrucksvoll dargestellt, zum Beispiel in 14 Gemälden, die er von 1893 bis 1908 schuf. 31 Zeichnungen mit Motiven aus Meißen und seiner Umgebung entstanden von 1889 bis 1909. In Meißen begann die Karriere Oskar Zwintschers als Maler, hier fand er aussagefähige und ungewöhnliche Motive und Landschaften, hier entwickelte er seine eigene Farbwelt, auch seine vieldeutigen Symboliken und seine ästhetischen Beziehungen zum Licht im Elbtal. Zwintschers Bildwelt entfaltete sich in der Erfahrung von Enge und Weite, Kälte und Wärme, Dunkelheit und blühender Vegetation. Granitene Felsen, Birken und Wasserläufe erfassen das Umfeld, das er erfuhr, als wesentliches Sujet dieser Region.

Eigentlich sollte man annehmen, dass Oskar Zwintscher auch als „Meißner Maler“ von der Stadt angenommen und geschätzt würde, auch wenn er „nur“ zehn Jahre seines Lebens hier verbrachte. Aber keine Straße trägt seinen Namen, keine Haustafel zeigt an, dass hier Oskar Zwintscher einst lebte.

Wissenswert und erstaunlich ist die Tatsache, dass er seine Malerkarriere von Meißen aus in die großen Kunstzentren Deutschlands erfolgreich startete und sein Œvre noch heute – immerhin seit 100 Jahren – wie eine Melodie weiterlebt.

Viele seiner Bilder sind noch heute in ihrer topografischen Genauigkeit konkret nachvollziehbar. Es gibt den „Blick vom Burgkellergarten auf die Meißner Altstadt“ (mit der Frauenkirche im Hintergrund) von 1893, die „Roten Dächer“ (ein Blick von der Hohlwegbrücke in das Häusergewirr der Altstadt) von 1895, den „Frühling“ mit einem Flöte spielenden Jungen auf der Bosel mit Blick auf Sörnewitz (um 1895). Auf dem „Selbstbildnis des Künstlers mit Tod“ von 1897 ist der Blick aus einem Fenster seiner Wohnung im Burglehnhaus hinauf zum Dom festgehalten, der damals noch nicht seine beiden Westtürme hatte. In der „Mondnacht“ von 1897 ist ein Hausstück oberhalb der „Freiheit“ gegenüber dem Domherrenhof mit Blick auf die Rückseiten der Burgstraßenhäuser und dem Bischofsturm im Hintergrund zu sehen. „Die Melodie“ von 1903 zeigt einen Blick auf das „Schmidtsche Landhaus“ in Meißen-Cölln, „O Wandern, O Wandern!“ einen Blick auf die Elblandschaft und die Dörfer um Diesbar-Seußlitz, ebenfalls von 1903.

Oskar Zwintscher creator QS:P170,Q253339, Die Melodie, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Besonders deutlich wird Zwintschers Symbolik in dem Gemälde „Die Melodie“ in der ersten Fassung von 1903, als der Maler noch in Meißen lebte. Es ist eine nächtliche Stimmung, der Mond leuchtet silbern in der ferneren Landschaft und im nahen Wasserbecken. Die Melodie verleiht hier der Sehnsucht nach Liebe Ausdruck. Sie erklingt auf einer Geige, gespielt von einem jungen Mann. Auf dem Gemälde sind auch der jugendlichen Körper einer Frau sowie eine schwarz verhüllte weibliche Gestalt als Sinnzeichen der Vergänglichkeit der Jugend, als Zeichen gramgebeugten Abschiednehmens von den Schönheiten des Lebens zu sehen. Aber das wesentliche Element ist das Wasser als allumfassendes Symbol des Lebens. Es perlt in hohem Bogen aus dem Mund der steinernen Knabenskulptur in das rot-weiß marmorierte Brunnenbecken. Die Szenerie wird durch einige Blumen als blühender und fruchtbarer Urgrund charakterisiert. Rechts im Hintergrund ist aber ein Gebäude zu sehen, das es so noch heute gibt: Es handelt sich um das sogenannte „Schmidtsche Landhaus“ in Meißen. 1897 erbaut trägt es heute die Adresse Gabelstraße 10.

Erbauer und erster Besitzer dieses Hauses war Gottgetreu Max Schmidt, von Beruf Kaufmann und Mitinhaber der Firma „Ernst Teichert GmbH“. Unterhalb des parkähnlichen Areals, das das Haus umgibt, befand sich früher der Gabelteich, in unmittelbarer Nähe des Gebäudes gab es offenbar eine Brunnenanlage. Heute findet sich dort nur eine kleine Garagenanlage nebst einem verwahrlosten Tümpel. Doch welche Bedeutung hatte Max Schmidt oder hatten die Teichert-Werke für den jungen Künstler Oskar Zwintscher? Dazu ist noch einmal der Blick auf den Lebenslauf des Künstlers interessant.

Zwintscher wurde am 2. Mai 1870 in Leipzig in der Familie des Musiklehrers Bruno Zwintscher geboren. Seine Schulzeit verbrachte er teilweise als „Thomaner“ in Leipzig. Später besuchte er von 1887 bis 1890 die „Akademie für Buchgewerbe und graphische Künste“ in Leipzig, von 1890 bis 1892 die „Königliche Akademie der bildenden Künste“ in Dresden. Nach seiner Studienzeit zog er 1892/93 nach Meißen. Er kam in eine Stadt, die damals rund 30.000 Einwohner hatte, um hier als freischaffender Maler und Grafiker zu arbeiten und zu leben. Aus welchen Gründen er sich hier niederließ, blieb bislang ungeklärt. Einige Möglichkeiten sind zu nennen.

Zog ihn die Faszination der berühmten „Königlichen Porzellan-Manufaktur“ an, die mit honorigen Künstlern und weltweiter Ausstrahlung glänzte? Konnte er eine Verbindung zur Manufaktur aufbauen?

Oder waren es die modernen Entwicklungsmöglichkeiten, die die progressiven „Teichert-Werke“ boten? Interessant ist dabei die Fülle an nationalen und internationalen Preisen, die die „Teichert-Werke“ für ihre Produkte bekamen. Gut möglich, dass auch heute noch solche Auszeichnungen für ein Unternehmen für junge Künstler ein Grund wären, in einer Provinzstadt den Karrierestart zu wagen.

Doch vielleicht spielte auch die herausragende Bedeutung der Albrechtsburg als nationales Architekturdenkmal eine Rolle bei Zwintschers Entschluss. Die Albrechtsburg bot ein Umfeld älterer Malerkollegen. Zum Beispiel Choulant, Diethe, Dietrich, Gey, Hofmann, Kießling, Marshall, Oehme, Preller d.J., Scholtz und Spieß waren als Historienmaler an der historisierenden Ausmalung der Albrechtsburg in den Jahren von 1878 bis 1885 beteiligt. Eventuell hatte Oskar Zwintscher auch eine besondere Beziehung zum Werk des Zeichners Ludwig Richter, der von 1828 bis 1836 in Meißen lebte.

Zwintscher wurde ab 1895 selbst ein überaus erfolgreicher, gesuchter und hoch geschätzter Karikaturist und Zeichner. Nicht in der Kleinstadt Meißen, sondern in der berühmten Kunststadt München! Oft war Zwintscher wegen seiner Illustrationen für die „Meggendorfer Blätter“, einem führenden Münchner Humor- und Witzblatt, in jener Stadt. Mit über 450 Illustrationen wurde er einer der produktivsten und beliebtesten Zeichner dieser Zeitschrift. Der Schwerpunkt seiner Arbeiten für die „Meggendorfer Blätter“ lag in den Jahren von 1896 bis 1903: In dieser Zeit schuf Zwintscher durchschnittlich 40 Zeichnungen jährlich.

Hatte der Künstler familiäre Bindungen zu Meißen oder zum Meißner Umfeld? Tatsächlich: Sein Großvater Franz Ludwig Zwintscher (geboren 1802 in Ponickau bei Ortrand), war seit 1831 Diakon in Leuben und seit 1836 Pfarrer in Ziegenhain. Sein Vater Bruno Zwintscher wurde 1838 in Ziegenhain geboren. Oskar Zwintschers Großmutter Juliane Henriette stammte aus Dresden.

Im Jahr 1897 zogen Zwintschers Eltern Bruno und Friedericke von Leipzig nach Dresden. 1897/98 wohnten sie dort in der Glacisstraße 5, von 1899 bis 1901 in der Pulsnitzer Straße 1. 1902 ist Bruno Zwintscher in Meißen als „Privatier“ gemeldet. Er wohnte in der Dresdner Straße 33, heute 25. Das moderne und noble Stadthaus mit Blick auf Elbwiesen, Fluss und Plossen war auch das Zuhause von Oskar Zwintscher und seiner Ehefrau Sarah Adele. 1906 malte Oskar Zwintscher für die Ziegenhainer Kirche zum Gedächtnis an seinen ein Jahr zuvor verstorbenen Vater eine Pietà.

Der Autor der „Kursächsischen Streifzüge“, Otto Eduard Schmidt, schreibt über den jungen und „versponnenen“ Maler: „Sechzig Jahre nach Ludwig Richters Weggang zog der 23-jährige Oskar Zwintscher in Meißen und in Richters Atelier ein, ein Sohn der Ebene, der hier für das erste Jahrzehnt seines freien Schaffens die rechte Stätte und die Frau seines Herzens gewann. Noch sehe ich seine schlanke Gestalt mit dem feinen Kopf und den großen sinnenden Augen durch die Gassen der Stadt und über die sonnigen Hügel der Umgebung schreiten, immer ernst und feierlich, schwer nahbar, ewige Sehnsucht im Herzen, auch nach Menschen, wie mir ein viel später von ihm geschriebener Brief berichtet – aber wir wussten es nicht und blieben ihm fern. Er litt also in Meißen unter derselben Vereinsamung wie einst Ludwig Richter…“

Zweifelhaft erscheint ein bewusster Rückzug Zwintschers wegen eines physischen Handicaps. Darüber schrieb Joachim Uhlitzsch im Katalog der Dresdner Zwintscher-Ausstellung von 1982: „Um Zwintschers Konstitution war es nie zum besten bestellt. Als fünfjähriges Kind befiel ihn eine Diphtherie schwersten Grades. … Auch wenn nicht mehr Dauerschäden von dieser Erkrankung zurückgeblieben waren, Zwintschers Stimme behielt die kindliche Tonlage für immer. Hans Ungers Tochter Maja erzählte mir, dass stets eine vorübergehende peinvolle Situation entstand, wenn ihr Pate, den sie Onkel Oskar nannte, Fremden vorgestellt wurde und er im Diskant zu sprechen begann. Da gab es hochgezogene Brauen, und das empfand Zwintscher zutiefst. Er konnte ausgelassen sein, Späße machen und geistreich unterhalten, doch nur im Kreise engster Bekannter, sonst aber führte er das eingezogene Leben eines scheuen Menschen. Die hochgespannte, leicht verletzbare Empfindsamkeit des Künstlers, sensiblisiert von der Vermutung physischer Mangelhaftigkeit, wird zumindest eine Ursache des Einnistens in die verwinkelte Stadt und in das zu kontemplativen Sinnen verführende Turmstübchen im Burgbezirk gewesen sein…“ Doch dieses „Handicap“ spielte eigenartigerweise zehn Jahre später überhaupt keine Rolle mehr. Als Zwintscher Professor in Dresden wurde, stand er im Blick- und Hörfeld einer viel größeren Öffentlichkeit.

1895 ist Oskar Zwintscher im Meißner Adressbuch als Kunstmaler im Burglehnhaus an der Freiheit 2 verzeichnet. Er hatte eine Wohnung im Saal über dem Tor bezogen. Es war das Haus, in dem zuvor Ludwig Richter gelebt hatte, wenn auch nicht Richters Wohnung oder Atelier. Vom hohen und weiträumigen Haus hat man noch heute einen weiten Ausblick ins Meisatal, auf den Schottenberg und den Lehmberg. Zu Zwintschers Zeiten waren das noch kaum bebaute landwirtschaftliche Areale. Sie hatten in etlichen seiner Gemälde ganz offenbar als „grünende und blühende Hügel“ eine besondere Bedeutung.

Im Burglehnhaus wohnte Zwintscher mit seiner Frau bis 1899. 1900 lebte das Paar zunächst im Haus Domplatz 8, danach rechtselbisch in der Bahnhofstraße 2. Ab 1902 war man in der Dresdner Straße 33 zu Hause.

1894 beteiligte sich Oskar Zwintscher an der ersten akademischen Kunstausstellung in Dresden im neu errichteten Ausstellungsgebäude an der Brühlschen Terrasse. Von Januar bis April 1895 und von Januar bis Mai 1896 hielt sich der Maler in München auf. Hier konnte er Arbeiten von Stuck, Habermann, Uhde, Böcklin und Feuerbach sehen. Die Jahresausstellung der „Münchner Secession“ 1896 zeigte erstmals auch Werke von Oskar Zwintscher.

Im September 1898 heiratete der Maler Sarah Adele Ebelt (1872 – 1942). Sie war die Tochter des Meißner Böttchermeisters, Weinschänkers und Weinbergbesitzers Ernst Hermann Ebelt, dessen Familie von 1900 bis 1906 auch in „Niederspaar Nr. 19“ im Spaargebirge wohnte. Dessen Landschaft spielte in vielen Gemälden Zwintschers eine wichtige Rolle.

1898/99 wurden Zwintschers Bilder in Personalausstellungen in Dresden, Hamburg, Bremen, Lübeck, Leipzig, Wiesbaden und Frankfurt/M. gezeigt. Aber nicht in Meißen – der Stadt, in der der Künstler immer noch lebte. Um 1900 hatten sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse verbessert: Er fand zunehmend Käufer für seine Bilder, auch das Honorar für die Karikaturen in den „Meggendorfer Blättern“ war erhöht worden. Im „Meißner Tageblatt“ vom 14. September 1902 erschien folgende Notiz über den Maler: „In Richters Kunstsalon fesselt in erster Linie die Sonderausstellung von Oskar Zwintscher (Meißen). Der Künstler zeigt außer dem vorzüglich gelungenen Portrait seiner Gattin (besonders der Gesichtsausdruck und die Hände) mehrere Studien aus Worpswede, so u. a. das Bildnis Heinrich Vogelers, ferner seiner Eltern, Musiklehrer Zwintscher vom Leipziger Conservatorium nebst Gattin, ein Kinderportrait und ein eigenartiges Gemälde ‚Lenzrausch‘.“

Zwei Tage später meldet das „Meißner Tageblatt“: „Dresden. Herr Oskar Zwintscher hat in der Dresdner Kunstschule von Guido Richter den Unterricht im Zeichnen und Malen nach dem lebenden Modell und nach der Natur, im Componiren und Bildermalen, wie im Lithographiren, Illustriren und Stilisiren übernommen.“ Im Oktober 1903 wurde Zwintscher als Nachfolger von Leon Pohle Leiter des Malsaales der Dresdner Kunstakademie, 1904 erhielt er den Professorentitel. Eine Zeit des Erfolgs begann: 1904 war er mit acht Gemälden in der Großen Dresdner Kunstausstellung vertreten. In der Großen Dresdner Kunstausstellung von 1908 konnte er zwölf seiner Gemälde ausstellen. 1909 war er Gründungsmitglied der Dresdner Künstlervereinigung und in deren erster Ausstellung 1910 mit fünf Gemälden vertreten.

Mit der Professur in Dresden trennte sich Zwintscher von Meißen. Er zog in die sächsische Hauptstadt. In der Dresdner Eisenstuckstraße wohnte er bis 1906, danach in Klotzsche bei Dresden in der Querallee 12. Ab 1911 wurde Dresden-Loschwitz seine Heimat – zunächst die Robert-Diez-Straße 10, schließlich die Schillerstraße 2/Plattleite 1. Sein Atelier befand sich seit 1905 an der Brühlschen Terrasse.

Am 11. Februar 1916 starb Oskar Zwintscher in seinem Haus in Dresden-Loschwitz, sein Grab und das seiner Frau  befinden sich noch heute auf dem Loschwitzer Friedhof gegenüber dem Künstlerhaus.

Schon im April 1916 ehrte der Sächsische Kunstverein den früh Verstorbenen mit einer umfassenden Gedächtnisausstellung. Die Schau umfasste fast das gesamte Œvre und wurde anschließend noch in anderen Städten gezeigt. Sascha Schneider, Zwintschers Freund seit der gemeinsamen Studienzeit an der Dresdner Kunstakademie, schuf 1920 die Grabplastik „Jüngling mit erloschener Fackel“. Schneider ist selbst eine interessante Figur und mit Meißen verbunden.

Er wurde 1870 in St. Petersburg als Alexander („Sascha“) Schneider geboren und kam 1884 mit seiner Mutter und zwei Schwestern nach Dresden. Dort besuchte er bis 1889 das Kreuzgymnasium. Nach dem Abitur begann er sein Malereistudium in Dresden. 1893 verließ er die Akademie und richtete sich zusammen mit Richard Müller ein Atelier in Dresden ein, um sich künstlerisch frei entfalten zu können. Eine erste Ausstellung führte zu kleinen Verkaufserfolgen. 1897 hielt sich Schneider in Florenz auf, wo er in der „Villa Colombaia“ tätig wurde. Nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete er 1898/99 an dem riesigen Triumphbogenmotiv in der Johanneskirche von Meißen-Cölln. Von 1900 bis 1904 lebte er in Meißen mit seiner Mutter und seiner unverheirateten Schwester Lilly in einer Villa auf der Zaschendorfer Straße am Rande des Fürstenberges.

1899 malte Oskar Zwintscher das „Bildnis des Malers Sascha Schneider“. 1904 wurde Schneider zum Professor an der Weimarer Kunstschule ernannt. Es war Max Klinger, auf dessen Empfehlung die Berufung erfolgte. Nach 1908 folgten für Schneider Stationen in Leipzig, Florenz, Tirol, Darmstadt, Frankfurt/M. und anderen Städten Deutschlands. Schließlich kehrte er nach Dresden-Hellerau zurück und starb 1927 in Swinemünde. Sein Grab befindet sich auf dem Loschwitzer Friedhof, nur wenige Meter vom Grabe Zwintschers entfernt. Aber noch einmal zurück nach Meißen und zu Oskar Zwintscher. Was verband diesen Künstler nun mit der berühmten Porzellan-Manufaktur? Zwintscher schuf um 1897 spätbürgerlich-klassisch ausgewogene Landschaftsbilder und Porträts – mit einem elegant-dezenten Akzent in Richtung Jugendstil. Damit stand sein Werk durchaus in Übereinstimmung mit den damals aktuellen Produkten der Meißner Porzellan-Manufaktur. Seine Malereien wären sicherlich auf Wandschalen, Dosen, Vasen, auf Porzellanbildern und Wandplatten akzeptabel produziert worden und für Meissen auch kommerziell erfolgreich gewesen. Auf Empfehlung von Woldemar von Seidlitz, „Vortragender Rat im Generaldirektorium der Königlichen Sammlungen für Wissenschaft und Kunst“, versuchte die Porzellan-Manufaktur Meissen 1897 tatsächlich, Oskar Zwintscher als freien Mitarbeiter zu gewinnen. Der Künstler ließ sich offenbar auf dieses Angebot ein, er fertigte einige Malerei-Entwürfe an. Einer dieser frühen Entwürfe war die Dekoration einer großen „Balustervase“. Vermerkt ist eine „grüne Schild- und Windenmalerei, nebst Putto und Frosch“. Dieser Entwurf wurde für 300 Mark von der Manufaktur angekauft. Die Malerei auf Porzellan realisierte Ludwig Sturm, der Leiter der Malereiabteilung. Zur Begutachtung wurde die Vase an das Königliche Finanzministerium in Dresden gesandt, seither gilt sie als verschollen. Im Depot der Schauhalle der Manufaktur gibt es noch heute ein ungemarktes Exemplar dieser Vase, allerdings mit Brandrissen und fehlender Randdekoration. In einem Schreiben von Woldemar von Seidlitz an Manufaktur-Direktor Horst Carl Brunnemann heißt es 1897: „Jedenfalls würde ich Ihnen raten, mit Herrn Zwintscher weiter in Verbindung zu bleiben …“ Daraufhin kam es noch im selben Jahr zu zwei weiteren Ankäufen von Entwürfen für je 60 Mark: die Ölmalereien „Cambanula“ in blauviolettem Ton für ein Konfektblatt und „Stiefmütterchen“ in blauem Ton für ein Schälchen.

Ende 1904 wurde in der Manufaktur die Stelle des Malereivorstehers frei. Friedrich Offermann schlug für die Neubesetzung neben Ludwig Hofmann auch Oskar Zwintscher vor. Das wurde aber von der Meißner Manufaktur abgelehnt. Doch auch auf Zwintschers Seite hatte sich inzwischen einiges verändert: Immerhin war er 1903 zum Vorsteher des Malsaales an die Kunstakademie in Dresden berufen worden. Seine neue berufliche Situation und sein gewachsener Bekanntheitsgrad als Maler hatten sicherlich auch für ihn einen höheren Stellenwert, als die Position eines Malereileiters an der Manufaktur. Damit gingen die kreativen Potenzen des Künstlers für das Meissener Porzellan-Schaffen verloren.

Autor: Dr. Hans Sonntag

Titelbild: Oskar Zwintscher, Selbstbildnis mit Tod, 1897, Kunstsammlungen Chemnitz, Foto: Jürgen Seidel

Der Beitrag erschien am 09.12.2012 in der Druckausgabe des Meißner Tageblatts.

Die erwähnten Gemälde können in der Ausstellung „Weltflucht und Moderne: Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900“ noch bis 15.01.2023 im Dresdner Albertinum betrachtet werden. Ein Video der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden lädt zur Spurensuche durch Meißen ein.

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