21. Dezember 2024 15:59

Die Fummel mal ohne Porzellan-Legende

Das Blätterteig-Backwerk ist eine Meißner Besonderheit. Wurde es tatsächlich für Porzellan-Kuriere ersonnen oder hat es seinen Ursprung in fernen Ländern?

Die „Fummel“ ist eine Meißner Besonderheit. Ein Backwerk mit enormen Ausmaßen und ohne Inhalt. Die Fummel ist ein Blätterteig, der nichts als Luft enthält. Wozu man dieses Gebäck erfand, liegt im Dunkeln. Touristenführer berichten gern, dass Kurierreiter, die Porzellan von Meißen nach Dresden brachten, angeblich auch Fummeln zu ihrer Fracht gepackt bekamen. Blieb das Gebäck heil, waren die Kuriere vorsichtig genug geritten. Doch kann das stimmen? Möglich wären auch andere Bedeutungen.

Schon der Meißener Geschichtsforscher Wilhelm Loose beschäftigte sich mit der Geschichte der Fummel. In den „Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Meißen“ veröffentlichte er 1891 Folgendes: „Als am 14. Januar 1747 die an den Dauphin Ludwig, den Sohn des Königs Ludwig XV., vermählte sächsische Prinzessin Maria Josepha auf ihrer Reise von Dresden nach Frankreich durch Meißen kam, spendete der Rat ’den gewöhnlichen Ehrenwein an rothen und blanken Landwein nebst einen hiesigen gewöhnlichen Gebacken vulgo eine Fommel genannt’.“

Maria Josepha von Sachsen (1731 – 1767), war die Tochter von Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen bzw. König August III. von Polen, dem Sohn von August dem Starken. Der berühmte Marschall Moritz Graf von Sachsen (auch „Marèchal de France“ genannt), ein Sohn von August dem Starken und Gräfin Aurora von Königsmarck, schlug diplomatisch vermittelnd der Marquise de Pompadour die Verheiratung seiner Nichte Maria Josepha mit dem französischen Thronfolger Louis Ferdinand de Bourbon vor. Auf ihrer Reise von Dresden nach Paris wurde die 16-jährige Prinzessin von Louis Francois Armand du Plessis, Herzog von Richelieu, begleitet, der zuvor eigens nach Dresden gereist war. Die Hochzeit mit dem Dauphin fand schließlich auch am 9. Februar 1747 in Paris statt.

Interessanterweise spendete der Rat von Meißen der zur Hochzeit reisenden Prinzessin und vielleicht auch ihrer Entourage das genannte „gewöhnliche Gebäck“, welches man „Fommel“ bzw. „Fummel“ nannte. Die symbolische Bedeutung der Farben des roten und weißen „Ehrenweins“ war bekannt. „Rot“ stand als Farbe der Liebe auch für Freude, Leidenschaft, Glut, Energie, Wildheit, sexuelle Erregung, für die „Brautfackel“ und das „Hochzeitsfeuer“. Weiß galt als Farbe der Reinheit, Unschuld, Keuschheit und der Jungfräulichkeit. Bei Vermählung symbolisierte Weiß auch den Beginn eines neuen Lebens.

Im historischen Text, den Loose zitiert, wird die „Fommel/Fummel“ mit der lateinischen Formulierung „vulgo“ als ein „gemeinhin“, „gewöhnlich“ und „allenthalben bekannt“ hiesiges Backwerk benannt. Ihre Zutaten wie Mehl, Hefe, Salz, Zucker und Öl waren einfach: Die Fummel dürfte kein extrem teures Gebäck und damit auch beim einfachen Volk verbreitet gewesen sein.

Eine mögliche Deutung ergibt sich aus dem Namen. Zu jener Zeit sprach man am sächsischen Hof kein perfektes, sondern eher ein sächsisch geprägtes und wohl auch fehlerhaftes Französisch: Das ist aus Forschungen bekannt. Die Bezeichnung „Fummel“ könnte sich vom französischen „fumèe“ ableiten – einem Wort mit Bedeutungen wie Rauch, Dampf, Qualm (auch im Sinne von „blauer Dunst“), Illusion und Wind.

Damit wird die Fummel bestens charakterisiert: Sie ist ein ballonartiges, geschlossenes Backwerk ohne jeglichen Inhalt. Als „leere Windblase“ ist sie ein Symbol der Illusion, der Vorstellung von einer Wirklichkeit, die nur auf Wünschen und täuschenden Ansichten beruht. Das passt zum auch damals bekannten Lebensgefühl des „Horror vacui“, der Angst vor dem Nichts und der Leere. Zerbricht man die Fummel, erlebt man im Wortsinne Nichts und Leere (die jedoch durch den Zucker etwas versüßt wird). Lässt man die Fummel aber ganz, bleiben vielleicht gewisse Illusionen für immer erhalten.

Wie nah liegt nun diese französische Interpretation? Eigentlich muss man nur das „l“ des Namens „Fummel“ weglassen, um zu „fumme“ zu gelangen, das seinerseits schon an das französische „fumèe“ erinnert. Die Meißner Fummel wird stets etwas bräunlich ausgebacken. Damit ist sie nahe am französischen „fumage“, was Räuchern heißt. Erinnert sei daran, dass das noch heute bekannte Pumpernickel-Brot einst als „De panis grossioris westphalorum, vulgo Bompournickel“ bezeichnet wurde: Interessant ist der Wechsel vom „o“ zum „u“.

Eine weitere Möglichkeit der Deutung ist die der Fummel als Vexiergestalt. Darstellungen einer „verkehrten Welt“ waren im 16., 17. und 18. Jahrhundert aktuell. Man kennt sie aus Architektur, Plastiken, Malerei, Konditorei- und Tragantkunst, Backwerk und Glasbläserei. Die verdrehte, „verkehrte“ Welt war ein Vergnügen, das Vexieren von Speisen wurde als eine Art von Ventil gegenüber religiösen und weltlichen Vorschriften genutzt. Die „Fummel“ sieht tatsächlich einem Schinken mit leichtem Belag ähnlich. Interessanterweise heißt der „Schwarzwälder Schinken“ in der französischen Sprache „jambon de fumè“.

Unklarheit herrscht über das Alter des Fummel-Rezepts. Einige Quellen sprechen von einer Rezeptur, die seit dem 14. Jahrhundert in Meißen bekannt sei. Das würde der Kurierreiter-Legende um das Gebäck widersprechen, die in Meißen immer wieder zu hören ist. Die Meißner Bäckerinnung führte diese sagenhafte Geschichte vor einigen Jahren noch einmal in einem Text aus. „Die Legende sagt aus: August der Starke, Kurfürst von Sachsen, ließ Post von Meißen nach Dresden mittels eines Reiters von der Albrechtsburg nach Dresden holen. Im Dorf Gauernitz huldigte der Postreiter dem Meißener Wein und der Liebe. Die ständige Postverspätung brachte den Kurfürsten auf die Idee, bei einem Meißener Bäcker ein sehr leicht zerbrechliches Luftgebäck backen zu lassen, dass der Postreiter auf der flachen Hand transportieren musste. Ein Absteigen vom Pferd war nun unmöglich, denn die Fummel musste unversehrt in Dresden abgeliefert werden…“.

Die Manufaktur wurde jedoch erst Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet. Und kann ein Reiter wirklich eine Fummel halten? Zum Führen der Zügel brauchte es sicher beide Hände. Wie hätte die Fummel bei Regen, Schnee und Sturm ausgesehen, wenn Ross und Reiter in Dresden ankamen? Die Geschichte ist also amüsant, basiert aber eher nicht auf historischen Fakten.

Seinen Ursprung könnte das Fummel-Gebäck auch in der orientalischen Küche haben. In der Türkei, in Syrien und auch in Indien kennt man ballonartig gebackenes Brot. Türkische Kultur und Lebensweise im weitesten Sinne wurde am sächsischen Hof wertgeschätzt. Vor allem im 18. Jahrhundert erlebte die Bewunderung des Türkischen glanzvolle Höhepunkte. Man schätzte orientalische Pracht.

Zwar ließ sich August der Starke, der 1695/96 den Oberbefehl über die kaiserlichen Truppen in Ungarn innehatte, auch als „Türkenbezwinger“ feiern. Doch die scheinbar uneingeschränkte Macht des Sultans und dessen Prachtentfaltung beeindruckten auch ihn. Unter seiner Regierung erlebten orientalische Festaufzüge und andere Inszenierungen in Sachsen ihre Blütezeit. August inszenierte sich als Sultan in Begleitung seines Hofstaates, schätzte prunkvoll aufgezäumte, orientalische Handpferde, nutzte in Kaftane gekleidete Dienerschaften wie Kammertürken und -mohren, das Janitscharencorps zur musikalischen Begleitung und als repräsentative Garde bei Festivitäten und zur Bewachung der kostbaren Lustschlösser. Damit unterstrich Sachsens Regent seinen herrschaftlichen Rang, verwies aber auch auf seine Rolle in den Türkenkriegen.

In Sachsen liebte man türkischen Kaffee, Stoffmuster und Kleidungsstücke „a la turc“, orientalische Gerichte und Süßigkeiten, das Tabakrauchen mit der Wasserpfeife, orientalische Zelte, Lederwaren, Parfüms und Pflanzen. Höhepunkt der sächsischen Türkenmode waren die prachtvollen Festlichkeiten zur Vermählung von August des Starken Sohn Friedrich August mit Maria Josepha, der Tochter von Kaiser Joseph I. Nachdem die Eheschließung am 20. August 1719 in Wien in Anwesenheit des osmanischen Großbotschafters Ibrahim Pascha vollzogen wurde, reiste das junge Paar nach Dresden, wo es am 2. September 1719 eintraf. Eigens für ihren Empfang errichtete man an der Elbe zahlreiche türkische Zelte. Der Festzug ins Zentrum Dresdens wurde unter anderem von Heiducken, Schweizer Gardisten und Mohren begleitet. In den einmonatigen Vermählungsfestlichkeiten nahm das „Türkische Fest“ am 17. September 1719 in „Ihro Hoheit Garten“, dem damaligen Italienischen Garten, eine Sonderstellung ein.

Die Einbettung des Osmanenreichs in das europäische Bündnissystem zahlte sich sukzessive aus. Die europäischen Mächte versuchten, in dem niedergehenden Staat Fuß zu fassen – nicht mit Waffengewalt, sondern mit vorteilhaften Handelsverträgen und der Erlangung von Schutzrechten. Die diplomatischen Kontakte zwischen Konstantinopel und europäischen Königshöfen führten im 18. Jahrhundert zu wechselseitigen kulturellen Einflüssen.

Das gilt auch für Sachsen. Ist die Fummel eine sächsische Version des türkischen, ballonartigen Fladenbrotes? Sie könnte hier einen ganz ähnlichen Sinn gehabt haben und bei Anlässen wie Hochzeiten, Geburtstagen und anderen Festlichkeiten verwendet worden sein.

Man sieht, dass es sich lohnen kann, die Geschichte der Meißener Fummel abseits aller Legenden aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten. Das Völkerkundemuseum und das Sächsische Hauptstaatsarchiv wären gute Adressen für die Suche nach Dokumenten über dieses bemerkenswerte Backwerk. Mit vertiefter Forschung ließe sich ein interessantes Kapitel Meißner Kulturgeschichte aufklären.

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