Zeugen der Stadtgeschichte: Der Meißner Ratsweinberg
In weiten Gegenden Deutschlands wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts der Weinbau von den Klöstern geprägt; auch an der Elbe im Meißner Land. Der erste Hinweis über Rebpflanzungen ist hier auf das Jahr 1161 datiert. Er steht in unmittelbarem Zusammenhang zwischen weltlicher Macht – Markgraf Otto – und der Kirche.
Bürger bauten Wein an
Doch bereits 150 Jahre später sind Nachrichten über den Bürgerweinbau im Osten Deutschlands zu finden. In Guben bepflanzten Ende des 13. Jahrhunderts die Bürger ihre Weideflächen mit Reben. Heute ist in diesen Landstrichen der Weinstock kaum noch am Spalier zu finden. In Meißen wird der Ratsweinberg 1350 zum ersten Male genannt. Er lag auf dem rechten Elbufer, also jenseits der Stadt. Der genaue Ort des Beginns ist heute nicht mehr festzustellen, nur an „dem Berge nebst der brucken“. 1355 verkaufte dann die Stadt den Berg an „den frommen Mann Heinrich Gobin“, unter der Bedingung, dass er und seine Besitznachfolger alle Jahre am St. Martinstag (dem 11. November) an die Frauenkirche (Stadtkirche) und die Brücke 37 „Breite Groschen“, an die Afrakirche 14 Groschen und an die im oder am Weinberg gelegene Dionysiuskapelle neun Groschen Erbzins entrichten.
Bereits ein Jahr später erwarb der Rat am 28. Oktober 1356 vom in den Mauern der Stadt gelegenen St.-Afra-Kloster einen Weinberg in der Flur Cölln. Auch er wird sich am südlichen Abhang des heutigen Ratsweinberges zur Elbe hin befunden haben. Auch von ihm war ein Erbzins, also Steuern, zu zahlen. Dieser Kauf bildete die Grundlage des später bedeutend größeren Weinbergbesitzes der Stadt.
Nur wenige kleine Häuser der Winzer gab es an der Vorbrücker Straße neben dem großen Pressgebäude mitten im Weinberg.
Einhundert Jahre später, 1446, übereigneten Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht der Stadt für die Erhaltung der Stadtkirche und der Elbbrücke ein bedeutendes Weinareal in der gleichen Gegend. 1467 sind die Einnahmen von 22 Schock, 20 Groschen für zwei Fuder Wein bereits in den Stadtrechnungen zu finden. 1501 kam die ehemalige Besitzung des Georg von Schleinitz durch landesherrliche Entscheidung ebenfalls in den Besitz der Stadt. 1529 erwarb dann die Stadt noch einen Weinberg von einem Bernhard Freydiger. Dieses Weinbergsgelände blieb nun nahezu 350 Jahre erhalten. Nur 1674 kam ein kleines unbedeutendes Gartengrundstück noch durch Ankauf dazu. Der Kapellenberg (heute der Nordteil des Tonberges) wurde nach dem Siebenjährigen Krieg wieder verkauft. 1850 betrug das Areal noch 14 Acker und 51 Quadratruten, das sind sieben Hektar und 51 Ar. Berücksichtigt man nicht die geringfügigen Veränderungen, so ist über die genannte Zeit von 350 Jahren eine Größe zwischen sieben und acht Hektar zu veranschlagen.
Es umschloss ein Gebiet, das heute von der Zscheilaer Straße im Westen, der Bahnhofstraße im Süden, der Großenhainer Straße im Osten und der Niederfährer Straße und Grünaue im Norden begrenzt wird. Nur wenige kleine Häuser der Winzer gab es an der Vorbrücker Straße neben dem großen Pressgebäude mitten im Weinberg.
Erst 1869 erfolgten bedeutende Verkäufe des Weinberges als Bauland in der Umgebung der sich rasch entwickelnden Stadt. Andererseits kamen durch Schenkung Weinbergsflächen dazu. Am 30. Juli 1890 übereignete der Oberinspektor der Porzellan-Manufaktur, Gustav Crasso, der Stadtgemeinde Meißen sein Grundstück in der Größe von 2,7 Hektar. Davon waren 1,5 Hektar Weinberg. Im Mittelalter gehörte er zur Dionysiuskapelle, die damals auf dem Berge stand. 1561 besaß ihn Heinrich von Maltitz auf Ilkendorf und ab 1707 war er Eigentum des Dresdner Bürgermeisters Dr. Marcus Dornblüth. Entsprechend dem Vermächtnis von Crasso wurde auf dem Gelände das städtische Krankenhaus errichtet. Nur einige Terrassen an der Hafenstraße sind heute noch mit Reben bepflanzt.
Der südliche Teil des Ratsweinberges wurde nach 1900 weitgehend bebaut mit Weinbergsschule und Gymnasium sowie zahlreichen Wohngrundstücken. Vom ursprünglichen Ratsweinberg sind nur das Stück vor dem Gymnasium mit dem dominanten ehemaligen Pressgebäude und das Stück vom Crassoberg mit dem Winzerhaus übrig geblieben in der Größe von etwas über einem Hektar. Diesen pachtete 1933 die „Vereinigung zur Förderung des Kleinwinzertumes in Meißen und Umgebung“, heute als Nachfolger die „Weinbaugemeinschaft Meißen“. Deren Kleinwinzer bewirtschaften bis in jetzige Zeit noch die Weinflächen.
In alten Karten (um 1580) ist das Pressgebäude bereits verzeichnet, jedoch keinerlei Größen und Bauausführung. Die ersten genauen Nachrichten sind uns in den Akten des Stadtarchives vom Jahre 1783 überliefert. Dort ist ein Riss des alten Keltergebäudes verzeichnet. In ihm befand sich eine Baumkelter (Weinpresse mit einem Hebelbaum, der auf die zu pressenden Trauben drückte). Der Neubau des Gebäudes erfolgte in der heute noch erhaltenen Gebäudeform und wurde wahrscheinlich 1788 begonnen. Es wurden zwei neue Weinpressen eingebaut, wovon die eine heute noch erhalten ist und im Stadtmuseum seit 1927 Aufstellung fand und nach eingehender Instandsetzung gegenwärtig wieder aufgebaut wurde. 1873 erhielt diese Presse einen eisernen Antrieb.
Ein ähnliches, jedoch ein wenig kleineres Exemplar einer original noch hölzernen Weinpresse aus den gleichen Baujahren steht im Weinberg am Lückenhübel/Jagsteig und stammt vom einstigen Kenzelmannschen Weinberg am Steinberg. Das Pressgebäude wurde bis Anfang der 1920er Jahre genutzt, später beherbergte es einen Kindergarten und heute ein Steuerbüro. Der Keller wurde bis in die 60er Jahre noch zur Weinlagerung durch die Winzergenossenschaft genutzt. Heute ist er im originalen Zustand (jedoch ohne Fässer) erhalten und kann zu besonderen Feierlichkeiten gemietet werden.
Um städtischen Weinbergsbesitz weiterhin zu erhalten, wurden im Spaargebirge 1902 die von Hagschen Weinbergsgrundstücke (heute der oberste Teil der Roten Presse und der Boselberg) in der Größe von 6,8 Hektar erworben. Der Boselberg ist heute noch im städtischen Besitz und wird von Mitgliedern der Sächsischen Winzergenossenschaft bewirtschaftet. Nach Mitte der 20er Jahre kaufte die Stadt dann vom ehemaligen Besitzer der „Roten Presse“, Major Freude, weitere Teile der Roten Presse, die Graue Presse und den Kapitelberg. Hier im Kapitelberg presste man dann auch die Weintrauben, nachdem der alte Pressraum auf dem Ratsweinberg aufgegeben wurde.
Nach 1945 gab es neue Verwaltungsformen (Volksweingut, VdgB und nach 1990 teilweise die Treuhand) die einer besonderen Untersuchung bedürfen. Was jedoch den Ratsweinberg besonders interessant macht, ist die nahezu 350-jährige, nur mit geringen Lücken versehene Aufzeichnung der Erträge. Für keinen Weinberg in Sachsen, und wohl auch in Deutschland, sind über eine derartige Zeitspanne fast alle Ergebnisse aufgeführt. Anfangs war es nur der Verkaufserlös. Er beginnt mit dem Jahre 1467: „22 Schock, 20 Groschen von dem Schenk zu Kempnitz“.
Ertragsmengen und Weinhandel
Interessant ist dabei, wie bereits zu dieser Zeit im deutschen Raum der Weinhandel verlief. So wird 1471 von vier Fuder Wein, geliefert an „Nickel Smelz zum Graupe“ (Krupka = Grauben im böhmischen Erzgebirge) berichtet; 1475 verkaufte man Most nach Penigk (bei Leipzig). Von 1540 bis 1869 wurden dann die Erträge des Ratsweinberges in Mengeneinheiten aufgezeichnet. Es ergibt sich ein Durchschnittsertrag von „27 Fass, ¼ Tonne und 67 Kannen“, das einer Menge von 11.076 Litern entspricht. Bei einem Bestand von rund 92.000 Rebstöcken auf acht Hektar kommen somit 11.000 bis 12.000 Rebstöcke auf einen Hektar. Dabei wurde ein Mostertrag von 1.400 Litern pro Hektar im angeführten Zeitraum erzielt. Werden die heutigen Mosterträge Sachsens von 35 bis 40 Hektoliter herangezogen, ist der Ertrag der damaligen Zeit von 30 Prozent real, teilweise als überdurchschnittlich anzusetzen.
Große Unterschiede zu anderen Weinanbaugebieten
Bei der Betrachtung der einzelnen Jahrgänge ist nur geringfügig eine Systematik zu erkennen. Zwischen dem Höchstertrag von 93 Fass, ein Viertel und vier Kannen (37.778 Liter) im Jahre 1834 und einer Tonne im Jahre 1695 (101 Liter) sowie 1821, wo kein Most gepresst wurde und die wenigen Trauben an die Winzer für sieben Taler zur Versteigerung kamen, sind alle Varianten möglich. Neben unmittelbar nacheinander folgenden relativ guten Jahrgängen, die über dem Durchschnitt lagen, ist auch eine Reihe von mehrfach schlechten Ernten zu verzeichnen, so von 1803 bis 1807. Von den 227 Jahren, in denen das Ertragsverzeichnis geführt wurde, liegen 97 über dem Durchschnitt und 130 darunter.
Zieht man die, wenn auch nicht lückenlosen Überlieferungen der Nachbargemeinden, zum Kötzschenbroda heran, so ist nur selten eine Übereinstimmung vorhanden. Wagt man dennoch einen Vergleich mit den in der historischen Weinbauliteratur angeführten Jahrgängen, die wesentlich aus den Gebieten westlich des Rheins stammen, zeigt sich der Unterschied noch größer. Der Jahrgang 1811, in die Geschichte des Weinbaues als der berühmte Kometenwein eingegangen, brachte im Ratsweinberg nur elf Fass, also ein Viertel des Durchschnittes. Dagegen waren 1834 und 1846 überall in Deutschland große Jahrgänge. 1804 und 1806 werden in der Pfalz als überdurchschnittlich angeführt, in Sachsen dagegen nicht.
Selbstversorgung und Kühe im Weinberg
In und am Weinberg wurden die verschiedensten Obst- und Gemüsearten angebaut. Die Winzer versuchten, sich weitgehend zusätzlich zu dem äußerst geringen Lohn selbst zu versorgen. Von 1716 bis 1784 war der Ratsweinberg verpachtet und im Pachtvertrag wurden auch 61 Pflaumenbäume, sechs Apfelbäume, vier Birnenbäume und 22 Kirschbäume angeführt. Teils sollten sie in der Anlage, überwiegend jedoch am Nordrand als eine Art Windschutz gestanden haben. 1834 wurden sogar im Stadtbuch 352 Pflaumen-, 60 Birnen, 87 Apfel, und 35 Kirschbäume aufgeführt.
Auch die Viehhaltung – vor allem hielt jeder angestellte Winzer ein oder zwei Kühe – gehörte dazu. Einerseits brachten die Kühe, die durch ausgebrochenes Reblaub und Unkraut des Weinberges versorgt wurden, wichtige Grundnahrungsmittel für die Winzerfamilie. Andererseits wurde so dringend benötigter Stalldung für die Reben geliefert. Erst nach 1900 mit Beginn der Einführung moderner Düngerwirtschaft wurde die „Winzerkuh“ abgeschafft und die Winzer erhielten einen finanziellen Ausgleich.
Der Anbau von Kürbissen war den Winzern des Ratsweinberges strikt verboten, was sonst in vielen sächsischen Weinbergen üblich war. Einerseits wurde dem Winzer somit ein gewisser Zuverdienst ermöglicht, andererseits ein Ausgleich für die oft schwankenden Erträge gewährt.
Die Zeit der Weinlese war weitgehend zwischen dem 10. und 27. Oktober. Klammert man die heutigen frühreifen Sorten wie Müller-Thurgau und Goldriesling aus, sind diese Termine noch oft aktuell. Zu Zeiten der Weinlese beschäftigte der Meißner Ratsweinberg in guten Jahren zusätzlich bis zu 60 Leser und zehn Buttenträger. Im Jahre 1701, einem durchschnittlichen Jahrgang, waren es außer den fünf Winzern und dem Pressmeister, an über achteinhalb Lesetagen 33 Leser und fünf Buttenträger. Da normalerweise die Lese über einen Zeitraum von 20 Tagen verlief, ist anzunehmen, dass es trotz weitgehend verbreiteten gemischten Satzes – also einer Vielfalt unterschiedlichster Sorten – eine Lesestaffelung gab. Die Buttenträger erhielten im Jahr 1701 täglich zweiundeinhalb Groschen, die Leser 15 Pfennige und die Winzer beim Pressen vier Groschen. Ein Vergleich über Lohn und Kosten ist aus heutiger Sicht allerdings nur schwer anzustellen.
Den Ratsherrn und Helfern aufgetischt
Anders sieht es schon aus, wenn über die Speisefolge der begüterten Ratsherren, der Winzer und der Hilfskräfte berichtet wird. Während der Weinlese wurde die Tagesverpflegung als Deputat gestellt. Die Meißner Ratsakten des Jahres 1701 dazu: „Ausgabegeld zur Speisung für die Herrn des Rates, Preßleute und andere, so gespeiset werden müssen die ganze Weinlese über. … zu der(Rats)Herrn gewöhnlicher Pressmahlzeit. … Mittwoch, den 9. November: 2 Groschen 6 Pfennig Bratwürste, 9 Pfund Sauerkraut, 3 Groschen 9 Pfennig einen Karpfen. Item zu der Winzer Preßmahlzeit: 12 Groschen 6 Pfennig für 10 Pfund Schöpsenfleich zu kochen, 12 Groschen eine Schöpskeule, 10 Groschen für 10 Pfund Rindfleisch zu 1 Groschen, 1 Groschen 6 Pfennig 1 Kanne Hirse, 1 Groschen Meerrettich.“
Unter dem 1. November der Rat „als wir Gäste gehabt: 4 Groschen 9 Pfennig Rindfleisch, 6 Pfennig Pastinakwurzel, 10 Groschen eine gemästete Gans, 1 Groschen Pfeffergurken, 1Groschen 6 Pfennig Hanbutten, 3 Groschen 6 Pfennig eingesalzene Hechte, 6 Groschen Lerchen und andere Vögel, 1 Groschen 6 Pfennig gebackene Pflaumen.“
Dagegen wurden für die „Winzerweiber“, also die während der Lese beschäftigten Aushilfskräfte, Butter, Milch, Käse, (Ess-)Kastanien, Äpfel und Birnen abgerechnet. Naturalien spielten auch in den landesherrlichen und anderen Weinbergen eine bedeutende Rolle.
Im Zeitraum von 1540 bis 1620 sind in den Stadtrechnungen 62 Jahre exakt mit allen Einnahmen und Ausgaben angeführt. 42 Jahre ergaben einen finanziellen Überschuss, 20 einen Fehlbetrag. Anders sah es reichlich 100 Jahre später aus. Zwischen 1621 und 1715 sind 37 Jahre mit Überschuss und 26 mit Defizit nachweisbar.
Über den Geschmack der einst produzierten Weine lässt sich heute streiten. In den Jahren 1571 und 1572 waren je ein Viertel Salbei- und Schlehenwein, im Jahre 1581 eine Tonne Wermutwein eingelegt worden. Man versuchte, schlechte Qualitäten durch Kräuter aufzubessern. Doch auch überdurchschnittliche Qualitäten reiften heran, und ein Reim ging um: „Landwein kannst du schweigen, ins Reinvaß sollst steigen.“ Er wurde also für importierten Qualitätswein ausgegeben.
Da der Ratsweinberg oft aus dem städtischen Säckel einen Zuschuss benötigte, wies Kurfürst Friedrich August durch ein Reskript vom 12. Dezember 1715 die städtische Verwaltung an, den Ratsweinberg zu verpachten. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Es war alles schon einmal da.
Der Ratsweinberg musste verpachtet werden
Im Jahr 1716 ging dann der Berg an den Wirt vom „Roten Hirsch“ Gottfried Keil, jedoch die Pachtsumme wurde infolge von Hagel, Frost und Misswuchs bedeutend reduziert. Auch später wurde immer wieder versucht, den Ratsweinberg gewinnbringend zu verpachten. Leider ohne dauernden Erfolg.
Heute stellt die Geschichte des Ratsweinberges, davon 350 Jahre nahezu in der Struktur unverändert, ein typisches und seltenes wirtschaftliches Beispiel städtischer Unternehmungen dar.
Günter Rühle
Der Artikel erschien zweiteilig am 02.08.2007 und 30.08.2007 in der Druckausgabe des Meißner Tageblattes.
Titelbild: Auf dem Meißner Ratsweinberg im Jahr 1780. Damals war der Berg noch kaum bebaut. Aquarellierte Lithografie: H. Griessbach, Lithografische Anstalt Steinmetz & Bornemann Leipzig, Verlag Louis Mosche Meißen