21. November 2024 08:22

An der Spitze stand ein umtriebiger Zauberkünstler

Zeugen der Stadtgeschichte: Vor 130 Jahren wurde die Cöllner Feuerwehr gegründet

Cölln wird Industriestandort und braucht mehr Sicherheit. Das hatte am 18. Juli 1877 eine kleine Schar von 25 wackeren Männern unter einem Lindenbaum des Cöllner Dorfgasthofs „Stadt Hamburg“ zusammenfinden lassen, um die Gründung einer freiwilligen Feuerwehr für Cölln und Vorbrücke zu beraten und zu beschließen. Auch wenn die Meißner Feuerwehr die älteste in Deutschland war: Schon bald erwies sich die Cöllner als achtenswert. Ihr äußerst rühriger Hauptmann Franz Oeser wusste das sehr gut in Szene zu setzen.

Als „Professor Oeser“ in Sachsen bekannt

Franz Oeser wurde am 15. April 1841 in Meißen geboren und war nach dem Tod der Mutter 1846 bei Verwandten aufgewachsen. Zunächst hatte er das Färberhandwerk erlernt, aber mehr Gefallen an den Zauberkünsten seines Vaters gefunden. Nachdem er ihn 1861 wegen einer Erkrankung als Magier vertreten musste, sah er sich ebenfalls dazu berufen: Der Beginn einer Zauberkünstler-Karriere: Oeser erwarb sich in den Folgejahren als „Professor Oeser“ in Sachsen und darüber hinaus einen guten Ruf, zumal er seine Darbietungen oft wohltätigen und gemeinnützigen Zwecken widmete.

Dabei muss es Franz Oeser auch bereits zu einem gewissen Wohlstand gebracht haben, konnte er es sich doch leisten, 1869 die Königswürde der Scheibenschützengesellschaft anzunehmen. Für Bekanntheit und Wohlstand spricht auch ein Inserat im Meißner Tageblatt vom 18. März 1874, in dem er seine „Erste große Extra-Vorstellung“ im Stadttheater als eine Darbietung „des rühmlichst bekannten Salonkünstlers Sr. Maj. Des Königs von Baiern“ empfahl. Dabei eilte Oeser der Ruf voraus, er habe „die liebenswürdigsten jovialen Umgangsformen und einen prickelnden Humor“ sowie „Sicherheit und Eleganz … in der Magie, Chemie und Handhabung der Experimentalphysik“, wobei „die noble Einrichtung seines Zauber-Salons und die feinen, eleganten Apparate“ beeindruckten.

Privatier mit Muße für Ehrenämter

Im Jahr 1875 heiratete er Marie Teichert, die Witwe des 1871 in Frankreich tödlich verunglückten Firmenbegründers Carl Teichert. Diese Verbindung ermöglichte es Oeser, sich endgültig in das wohlhabende Bürgertum einzureihen. Entsprechend mit Hausbesitz in Cölln, Dresdner Straße 14, ausgestattet, konnte er sich jetzt als „Privatus“ ehrenamtlich betätigen. Außer in der von ihm begründeten Cöllner Feuerwehr engagierte er sich als langjähriger Ausschuss-Vorsitzender im Allgemeinen Krankenhilfs-Verein Meißen, als Vorsteher der Scheibenschützen-Gesellschaft, in den Militärvereinen „Kameradschaft“ Meißen sowie Cölln und Umgegend, im Meißner Männergesangverein „Immergrün“, als Aufsichtsratsmitglied des Kreditvereins Meißen und als Gemeinderatsmitglied von Cölln beziehungsweise Stadtverordneter von Meißen. Trotz der zahlreichen Verpflichtungen gab er auch weiterhin Vorstellungen seiner Zauberkunst. So trat er im Oktober 1877 in Bautzen vor 1.000 bis 1.200 Kindern auf. Die Einnahmen einer zweiten Veranstaltung vor „überaus glänzendem Publikum“ spendete er für eine Christbescherung an arme Kinder. 

Bild 2: So warb man für die Auftritte des Magiers „Professor Oeser“. Foto: Reproduktion, Archiv Meißner Tageblatt

Besondere Verdienste hatte Oeser aber in Sachen Feuerwehr. Sein Organisationstalent in dieser Hinsicht widmete er nicht nur Cölln. Er übernahm auch überörtliche Funktionen: seit 1879 im Ausschuss des Bezirksverbandes von Dresden und Umgegend und seit 1887 als dessen Ausschuss-Vorsitzender, seit 1888 auch als Kreisvertreter im Landesausschuss des Landesverbandes sächsischer Feuerwehren.

Feuerwehrzeitung erschien in Cölln

In dieser Wirkungszeit ist ein spürbarer Aufschwung des sächsischen Feuerwehrwesens zu verzeichnen. Dazu trug wesentlich die seit 1886 herausgegebene Sächsische Feuerwehr-Zeitung bei. Deren Redakteur und Verleger war Oesers Feuerwehrkamerad und Nachbar, der Buchdruckereibesitzer Hermann Simon in der Dresdner Straße 10. Wo es finanzielle Schwierigkeiten gab, halfen Oeser und seine Gattin bereitwillig aus: Sie zahlten für einen großen Teil der Ausstattung der Cöllner Feuerwehr, aber ebenfalls andernorts. Auch stand Oeser hilfreich zur Seite, wenn es um die Anwendung technischer Neuerungen ging: zum Beispiel beim Lichtbildervortrag Pfarrer Hickmanns über das „Heilige Land“ am 31. Oktober 1899 im „Hamburger Hof“.

Anfangs bemühte sich Oeser um eine Zusammenarbeit mit der Meißner Wehr. Doch diese fühlte sich durch den Anspruch der Cöllner auf Gleichwertigkeit herausgefordert. Zum 40. Jubiläum der Meißner Feuerwehr war es dann so weit, dass man sich öffentlich erhitzte. Der Anlass: Eine am Jubiläumstag, dem 17. Juli 1881, in der „Dresdner Zeitung“ erschienene Information unter der pathetischen Überschrift „Zur Wahrung der Ehre!“. Dort erhob man für die Meißner Feuerwehr den Anspruch, einen Fabrikbrand tags zuvor in Cölln maßgeblich bekämpft zu haben.

Es mag durchaus sein, dass es dem Meißner Branddirektor Hofmann darum ging, damit Kommandobefugnisse über die Cöllner Wehr durchzusetzen, wie diese flugs am 22. Juli im „Meißner Tageblatt“ zur Sprache brachte. Doch gerade dies war Öl ins Feuer, denn sofort reagierte man in Meißen mit der Einberufung einer „Außerordentlichen Hauptversammlung“ am 23. Juli wegen „Beleidigung“, auf der wenig weise beschlossen wurde, „bis auf weiteres jedes gemeinsame Zusammenwirken mit der Feuerwehr Cölln-Vorbrücke entschieden“ abzulehnen.

Obwohl die Cöllner ihre Hilfsbereitschaft Meißen gegenüber aufrechterhielten, brachten weitere Einsätze erneute Rangeleien um die Zuständigkeit und Einsatzbereitschaft, so bei einem Fabrikbrand am 25. Juni 1889 in Cölln. Während Hofmann behauptete, vor der Cöllner Feuerwehr eingetroffen zu sein und deshalb die Fabrikspritze genutzt und deren defekten Schlauch durch einen eigenen ersetzt zu haben, beanstandeten die Cöllner das eigenmächtige Vorgehen, das ihnen das Löschwasser entzogen und sogar zu einer Anrempelei gegen Oeser geführt habe. Der Unfrieden schwelte lange weiter, so dass noch im Juli 1891 die Meißner Feuerwehr dem „15. Verbandstage des Dresdner Bezirksfeuerwehrverbandes“, der in Cölln stattfand, fernblieb. Darauf erschienen die Cöllner auch nicht zur Jubiläumsfeier zum 50-jährigen Bestehen der Meißner Wehr.

Langer Zwist mit der Meißner Wehr

Doch der Meißner Bannstrahl vermochte die kleine Cöllner Wehr nicht zu treffen. Franz Oeser blieb ungeachtet des Zwistes unter den sächsischen Feuerwehrkameraden geschätzt. Das bewies zum Beispiel das Wettin-Jubiläum 1889 in Dresden. Dort hatte Franz Oeser das Kommando über die rund 1.000 zum Spalierdienst angetretenen Feuerwehrleute inne. Zudem wurde er gewürdigt mit der Carola-Medaille für seine wohltätigen Verdienste, die er unter anderem einem Waisenkinde zukommen ließ; mit dem Ritterkreuz 2. Klasse zum Albrechtsorden 1897 für sein unermüdliches Bemühen um die Feuerwehr. Am 30. März 1890 wurde Oeser zum Branddirektor ernannt. Sogar der „16. Sächsische Feuerwehrtag“ ließ es sich nicht nehmen, ungeachtet der inzwischen mit Meißen vollzogenen Vereinigung den Cöllner Feuerwehrkameraden zu Ehren im Juli 1902 neben der „Sonne“ auch den nunmehrigen Neubau des „Hamburger Hofes“ zur Begrüßung und zum Festcommers zu nutzen.

Tausendköpfige Menge beim Leichenzug

Es heißt, dass Franz Oeser „im allgemeinen den Wunsch besaß, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen“. So drückte es das „Meißner Tageblatt“ 1905 in seinem Nachruf aus. Wie wenig ihm dies jedoch verübelt wurde, zeigte sich beim Begräbnis des am 14. Februar 1905 an einem Schlaganfall unerwartet Verstorbenen. „Wer diesen langen Leichenzug sah mit seinen Fahnen und der unübersehbaren Fülle der letzten Liebesgaben an Blattwerk und Blumen, wer Zeuge war des Zuges von Männern, die, zum Teil weither gekommen, alle durch das Sterbezimmer zogen, um dem Toten zum letzten Male die Hand zu drücken, der konnte nicht daran zweifeln: Dem Toten ist es beschieden gewesen, Liebe zu säen und zu ernten.“

Eine tausendköpfige Menge soll vom Sterbehaus bis zum Alten Johannesfriedhof  Spalier gebildet und ihm die letzte Ehre erwiesen haben. Es war nicht der erste Trauerzug, der sich aus Oesers Wohnung gegenüber dem „Hamburger Hof“ zur Urbanskirche bewegt hatte. Schon der Tod des einzigen Kindes, des mit 11 Jahren an Diphtherie verstorbenen Sohnes, sowie der im Juli 1895 66-jährig verstorbenen Ehefrau hatten die Vergänglichkeit und Unvollkommenheit des Glücks bewusst gemacht.

Mit dem Tod ihres umtriebigen Begründers und langjährigen Führers verlor die Cöllner Feuerwehr – seit dem Zusammenschluss mit Meißen die Abteilung II der vereinigten Wehr – eine Persönlichkeit, die unvergesslich schien und als Legende noch lange lebendig blieb. So war die 50. Jubiläumsfeier der Cöllner 1927, die vorwiegend im „Hamburger Hof“ stattfand, ausgefüllt mit Rückbesinnungen auf ihn.

Begraben auf dem Johannisfriedhof

Eine besondere Würdigung erfuhr er von den Königsteiner Feuerwehrkameraden, die ihm am Grabe mit einem Kranz für eine großherzige Tat ihren Dank erwiesen. Seitdem und vor allem seit der Neustrukturierung der Feuerwehr in der NS-Zeit, wonach es keine Stadtteil-Wehren mehr gab, verblich die Erinnerung allerdings mehr und mehr. Nicht zuletzt wurde sie durch Krieg und ideologische Ausrichtung verdrängt.

Autor: Gerhard Steinecke

Titelbild: Die Cöllner Feuerwehr bei einer Übung im Jahr 1880. Foto: Reproduktion, Archiv Meißner Tageblatt

Der Artikel erschien am 20.12.2007 in der Druckausgabe des Meißner Tageblatts.

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