Helmut Beeger schreibt Bücher, die sich mit regionaler Geschichte beschäftigen. Mal persönlich wie über das Jahr 1945, mal summarisch wie über das Dorf, aus dem seine Familie stammt.
Im Sommer vor 70 Jahren kehrte in Meißen wieder so etwas wie Alltag ein. Der Krieg war vorbei. Seit der Ankunft der sowjetischen Soldaten Anfang Mai 1945 hatte sich für die Meißner einiges geändert. Vor allem in den Vierteln am Stadtrand waren durch Kämpfe Häuser in Mitleidenschaft gezogen worden. Jetzt beanspruchten auch noch „die Russen“ Quartier in den Wohnungen. Meißner Familien lebten jetzt dicht zusammengedrängt in wenigen Zimmern. Ausreichend Essen zu organisieren, war eine der größten Aufgaben – zumeist der Mütter und Großmütter. Vergewaltigungen, wie sie viele Frauen unmittelbar nach der Einnahme der Stadt durch die Sowjets erlebt hatten, waren nun nicht mehr so zahlreich. Doch das Gefühl von Bedrohung blieb – so schildert es Marianne Beeger, die damals in der Meißner Kurfürstenstraße, der heutigen Heinrich-Freitäger-Straße im Stadtteil Zscheila, lebte.
So schildert es Marianne Beegers Sohn Helmut in einem Buch, das er auf Grundlage nachgelassener Erinnerungen seiner Mutter schrieb. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist „Zerbrochene Zeit“ eine besonders interessante Lektüre. Als Autor schont der heute 73-jährige Helmut Beeger seine Mutter nicht. Er lässt sie zu Wort kommen, hinterfragt sie aber auch.
Ihre Aufzeichnungen aus den letzten Kriegstagen und der frühen Nachkriegszeit übergab Marianne Beeger, die 1997 hoch betagt starb, vor ihrem Tod an ihre Kinder. „Sie hatte eine Reinschrift angefertigt, die sie mir in die Hand gab“, sagt Helmut Beeger. „Ich denke, dass sie ihre Geschichte überliefern wollte.“
Marianne Beeger blieb mit ihren Kindern bis 1946 in Meißen, dann zog die Familie an die Nordsee zu Mariannes inzwischen aus dem Krieg zurückgekehrten Mann. Nach einer kurzzeitigen Rückkehr auf das Gut der Schwiegereltern in Kaisitz bei Meißen, wanderte die Familie Anfang der 1950er Jahre endgültig nach Süddeutschland aus. Helmut Beeger, der als Geograph viele Jahre in der rheinland-pfälzischen Verwaltung gearbeitet hatte, kehrte nach der Wende nach Sachsen zurück. Er lebt heute in Meißen und in Kaisitz.
Der vermutete Wunsch der Mutter brachte den Sohn in einen Zwiespalt. Nicht alle in seiner Familie wollten Mariannes Erinnerungen veröffentlicht sehen. Und auch Helmut Beeger bekam durch die Lektüre einen anderen Blick auf seine Mutter. „Sie war eine Anhängerin der Nazis gewesen. Und Hitlers Tod und die Niederlage im Krieg waren für sie eine Katastrophe.“ In den Aufzeichnungen, die in dem Band zitiert werden, klingt es immer wieder an: Die Angst vor den sowjetischen Soldaten war – wohl nicht nur bei Marianne Beeger – riesig. Als „die Russen“ dann tatsächlich in Meißen waren, mobilisierte sie aber wie viele andere einen starken Willen zum Überleben. „Dass meine Mutter diese Aufzeichnungen angefertigt hat, interpretiere ich auch so“, sagt Helmut Beeger. „Für sie wird das Schreiben auch ein Versuch des Widerstands gewesen sein.“
In seinem Buch lässt der Sohn die Niederschriften seiner Mutter nicht unkommentiert. „Mir war klar, dass ich sie mit der Veröffentlichung auch angreifbar mache.“ Ihre Weltsicht, die sich nur auf die „rohe Gewalt der Sieger“ konzentriert und jegliche Vorgeschichte des Krieges ausklammert, wollte er nicht unkommentiert lassen. Helmut Beeger bettet die Aufzeichnungen von Marianne in lebendige Schilderungen ihres Werdegangs und Berichte anderer Zeitzeugen. So entsteht eine Vorstellung davon, wie sich Mariannes Weltbild entwickelte und wie auch andere Meißner die Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkriegs wahrnahmen.
Das Buch „Zerbrochene Zeit“ hat Helmut Beeger vor einiger Zeit in einem kleinen Verlag herausgebracht. Und seither hat er noch Lust auf weitere Buchveröffentlichungen bekommen. So persönlich wie die Erinnerungen seiner Mutter ist Helmut Beegers jüngstes Werk zwar nicht. Doch interessant ist es allemal: Der Autor hat jetzt die Geschichte des Dorfes Kaisitz geschildert, aus dem seine Familie stammt.
Dokumente aus der frühen Geschichte des Dorfes, Lebensbilder früherer Bewohner, die Historie einzelner Höfe und Betrachtungen heutiger Bewohner hat er unter dem Titel „Kaisitz. Aus Geschichte und Gegenwart eines Dörfchens bei Meißen“ zusammengefügt. Ein regionales Geschichtsbuch unter vielen? Mag sein. Beim Lesen aber kaum weniger spannend als die Schilderung der Kriegs- und Nachkriegszeit. „ Es war schwieriger, die Geschichte des heutigen Kaisitz zu beschreiben, als die des früheren“, sagt Helmut Beeger. Denn jeder der heutigen Bewohner habe eben seinen Blick auf die dörfliche Gegenwart. „Ich bin schon mal gespannt auf die Reaktionen.“
Die Auflagen, in denen Helmut Beeger seine Bücher herausgibt, sind klein. „Zerbrochene Zeit“ kann man dank ISBN-Nummer zum Preis von 8,90 Euro auch über den Buchhandel beziehen. Den Vertrieb seiner neuen Schrift über Kaisitz organisiert der Autor dagegen privat. 9,50 Euro kostet ein Exemplar. Von den 100 bislang gedruckten wird ein großer Teil vermutlich schon im Dorf verkauft und gelesen werden.