21. November 2024 13:52

Wie der Jugendstil aufs Meissener Porzellan kam

Anfang des 20. Jahrhunderts machte der „Jugendstil“ Furore. Unser Autor Dr. Hans Sonntag erinnert an Alfred Koenig, der diesen Stil an der Porzellan-Manufaktur Meissen vertrat.

Aufregend und neu war der „Jugendstil“ vor gut 100 Jahren – und Alfred Koenig war einer seiner Vertreter. An der traditionsbewussten Meissener Porzellan-Manufaktur war der Modelleur einer der Mitarbeiter, die dem neuen künstlerischen Stil zum Durchbruch verhalfen. Vor 75 Jahren, am 16. Mai 1940, starb Koenig in Meißen.

Seit 1897 hatte der Bildhauer an der Meissener Manufaktur als Modelleur gearbeitet. Sein Talent hatte ihm einst den Weg zu Europas ältester Porzellan-Manufaktur geebnet. 1896 kaufte Meissen acht Figurenmodelle Koenigs an. Der im Mai 1871 in Rudolstadt Geborene hatte in den Porzellanmanufakturen seiner thüringischen Heimat den Beruf des Porzelliners gelernt.

Die Zeit wollte es, dass er nun unmittelbar in die damals neue Welt des Jugendstils hineinwuchs. Jener künstlerische Stil entfaltete sich – glücklicherweise für ihn – auch in den „angewandten Künsten“, dem Kunsthandwerk, rasch. Vorläufer des Jugendstils war der Impressionismus, der den bis dahin beherrschenden Historismus sukzessive überwand. In Frankreich nannte man den neuen künstlerischen Stil „Art noveau“, in England „Modern style“, in Österreich „Secessionsstil“ – und in Deutschland seit 1896 „Jugendstil“. Namensgeberin war hier die in München erscheinende Zeitschrift „Jugend“.

Natürlich hatte der Jugendstil viele Vorläufer. Dazu gehörten etwa James Whistler, Gustav Moreau, Paul Gauguin, Henri de Toulouse-Lautrec und Edvard Munch. Wesentliche Impulse hinsichtlich gestalteter Farbflächen kamen von japanischen Farbholzschnitten, die seit 1880 in Europa bekannt waren und sehr geschätzt wurden. Kennzeichnend für den Jugendstil sind asymmetrische, flächenhafte pflanzliche, tierische, menschenkörperliche oder abstrakt-geometrische Ornamente und Flächen und Formen mit schwungvoller rhythmischer Linienführung.

Ein wesentliches Gestaltungsprinzip des neuen Stils war das Moment der Bewegung und des In-Bewegung-Seins. Die Technik entwickelte sich rasant: Auf fast allen Gebieten des Lebens wurden neue Möglichkeiten des Gestaltens möglich – sei es in der Architektur, den Künsten, im Handwerk und Maschinenbau, in der Gartengestaltung, der Buch- und Schriftkunst … Der Jugendstil wollte Kunst und Technik, Handwerk und Industrie grundlegend vereinen.

Alfred Koenig lernte in den Thüringer Porzellanmanufakturen sicher zunächst die konservative Welt der historistischen Stile kennen. Doch der Jugendstil setzte sich schnell von Moskau bis Chicago durch. Ein Höhepunkt bei diesem „Siegeszug“ war im Jahr 1900 die Pariser Weltausstellung. Dort wurden die neuesten Erzeugnisse auch im Jugendstil präsentiert.

In der Porzellan-Manufaktur Meissen, einem traditionsverhafteten königlichen Unternehmen, musste man zu kämpfen wissen, um die Auffassungen des Jugendstils umsetzen zu können. Allerdings gab es bei den Vorbereitungen zur Teilnahme der Manufaktur an der Pariser Weltausstellung die Chance, einige Porzellane im neuen Stil vorzustellen. Schließlich sollte dokumentiert werden, dass auch die ehrwürdige Meissener Manufaktur dem Fortschritt zugewandt sei. In einem Beteiligungswettbewerb entwarf der 24-jährige Julius Konrad Hentschel anno 1897 das elegante „Krokus-Dejeuner“, das schließlich mit 25 Bestellungen einen Achtungserfolg in Paris errang.

Eine Reverenz gegenüber dem Gastgeberland Frankreich war eine neue zwölfteilige Serie von Figuren der „Commedia dell`arte“ nach kolorierten Zeichnungen von Maurice Sand, dem Sohn der Autorin George Sand. An der Herstellung der Porzellanfiguren waren sieben Porzellanplastiker der Manufaktur beteiligt. Unter ihnen war auch Alfred Koenig, der die Figur des „Pagliaccio“ modellieren durfte.

Doch Ausstellungen und Wünsche der Kunden sind zwei Seiten einer Medaille. Letztlich setzt sich nur das durch, was die praktischen und ästhetischen Bedürfnisse der Käufer anzusprechen vermag. Es waren die zwischen 1904 und 1907 von Julius Konrad Hentschel geschaffenen Kinderfiguren, die Furore machten. Nach Hentschels frühem Tod im Jahr 1907 wurden die Modelleure Bochmann, Helmig, Eichler, Oehler und Koenig beauftragt, weitere Kinderfiguren zu gestalten. So kam es dazu, dass noch 1919/20 mehrere solcher Figuren von Koenig modelliert wurden. Allerdings erreichten sie nicht mehr die Natürlichkeit und Naivität der Kinderfiguren Hentschels.

1910 absolvierte Alfred Koenig eine Studienreise nach Holland und Belgien. 1913 wurde er für das Wintersemester an die Dresdener Kunstakademie delegiert. In den Meißner Adressbüchern sind über die Jahre verschiedene Anschriften von Koenigs verzeichnet. Der Modelleur und seine Familie lebten in verschiedenen Häusern der Rauhentalstraße, in Niedermeisa und in der Jüdenbergstraße. Im März 1912 hatte Koenig die 1887 in Großkagen geborene Alma Klara Köhler geheiratet. In der Ehe wurden 1913 Tochter Ilse und 1916 Sohn Alfred Rudolf geboren. Alma Klara Koenig starb 1940 nur wenige Wochen nach ihrem Mann am 25. August.

In Koenigs späterer Lebenszeit veränderten sich die Künste wieder einmal. Ganz wesentlich mit und nach dem Ersten Weltkrieg: In jenen Jahren gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen Vertretern zahlreicher theoretischer und künstlerischer Positionen. Welche Funktion sollten die Künste – vor allem die Architektur und Produktgestaltung – haben? Welche Rolle sollten die Traditionen und das kulturelle Erbe spielen? Gab es gar eine Hierarchie der Künste? Bedeutende Bildhauer wirkten in den 1920er Jahren vor allem in Frankreich und Deutschland. Dabei fanden Arbeiten von Barlach, Marcks, Kolbe und Scheibe auch den Weg zur Meissener Porzellan-Manufaktur.

Die Berufskollegen um Alfred Koenig – etwa Bruno Bochmann (1874-1942), Karl Theodor Eichler (1868-1946) und Johannes Theodor Paul Helmig (1859-1939) – zählten damals schon zur „alten Garde“, deren Arbeiten kaum noch gefragt waren. Max Adolf Pfeiffer, der 1913 als Kaufmännischer Direktor an die Meissener Porzellan-Manufaktur kam und 1918 Direktor des Unternehmens wurde, hatte andere Vorstellungen von der Porzellankunst der Zeit. Von 1918 bis 1922 nahm Pfeiffer 22 freischaffende Künstler aus Deutschland und Österreich mit ihren künstlerischen und handwerklichen Arbeiten in das Meissener Porzellanschaffen auf. 1925 wurde Helmig, 1928 Eichler, 1929 Bochmann und 1932 Koenig in den Ruhestand versetzt – obwohl sie erst zwischen 51 und 66 Jahre alt waren. Die neuen „Sterne“ an Meissens Himmel waren nun Paul Scheurich und Max Esser.

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