21. November 2024 16:42

Riskante Reise zwischen Meißen und Leipzig

Kaminuhr aus Meißner Porzellan

Wie in den 1970er Jahren kostbares Meißener Porzellan für eine Ausstellung vorbereitet wurde

Von 1976 bis 1981 war ich als Mitarbeiter in der Meißener Porzellan-Manufaktur für Messen und Ausstellungen tätig. Zur gleichen Zeit absolvierte ich ein Fernstudium in Leipzig – und dort gab es ganz in der Nähe meiner Zweitwohnung im Leipziger Osten einen Uhrmachermeister namens Schumer. Er hatte sein Geschäft in der Rosa-Luxemburg-Straße und verfügte über eine beachtenswerte private Uhrensammlung.

Eine glückliche Fügung, denn in unserem Porzellanmuseum, der Schauhalle in Meißen, hatten wir eine umfangreiche Uhrensammlung im Bestand, deren Uhrwerke aber fehlten oder defekt waren. Die kostbaren Uhren aus Porzellan waren somit nicht recht ausstellungswürdig. Nun konnte ich, der ich regelmäßig bei Konsultationen an der Uni war, den Namen des Leipziger Uhrmachers ins Gespräch bringen, als wir im Museum eine große Uhrenausstellung vorbereiteten.

Dabei sollten die Uhrgehäuse aus Porzellan möglichst nicht ohne Uhrwerke ausgestellt werden. Zudem wollten wir auch die unterschiedlichen Schlagwerke der Uhren erklingen lassen. Ich bekam den Auftrag, Verbindung zu Meister Schumer aufzunehmen, damit er einen Überblick über den Zustand unserer Uhren erhielte.

Tatsächlich kam der Leipziger Uhrmacher in die Manufaktur nach Meißen und überprüfte alle Uhren im Museum.  Die Durchsicht und die entsprechenden Dokumentationen nahmen einige Wochen in Anspruch. Auch die Kostenfrage musste mit der Leitung der Manufaktur geklärt werden. Meister Schumer nahm bei jedem seiner Besuche einige Uhren mit nach Leipzig, reparierte sie dort fachmännisch und brachte sie dann beim nächsten Mal wieder zurück. Entweder mussten die Uhrwerke gereinigt, repariert oder ausgetauscht werden. Falls er geeignete Uhrwerke selbst besaß, nutzte er diese. Wenn nicht, musste er den Antiquitätenhandel bemühen.

Nach und nach wurden die Meißener Uhren wieder in einen guten Zustand versetzt und wir konnten die Ausstellung planen. Wir schrieben Texte zu den Uhrgehäusen und -werken, wobei Meister Schumer uns fachliche Informationen zuarbeitete. Die Ausstellung fand schließlich von April bis Oktober 1980 in der Schauhalle statt. In diesen Monaten bewunderten 300.000 Besucher die herrlichen Exponate aus drei Jahrhunderten. Der Titel der Ausstellung: „Was die Uhr geschlagen hat. Ein historischer Streifzug durch die Entwicklung der Meißener Porzellan-Manufaktur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“.

Kaminuhr aus Meißner Porzellan
Uhren mit Gehäusen aus Meißener Porzellan sind Kostbarkeiten. Foto: Archiv Dr. Hans Sonntag

Ein Objekt hatte uns zuvor bei der Restaurierung besondere Sorgen gemacht: eine berühmte Kaminuhr aus der Zeit um 1727, geschaffen von Johann Gottlieb Kirchner. Kirchner war zwischen 1727 und 1737 als Bildhauer, Modelleur und zeitweise als Modellmeister in der Meißener Porzellan-Manufaktur tätig. Das Uhrgehäuse war extrem aufwändig mit Chinoiserie-Malereien von Johann Gregorius Höroldt dekoriert. Das Objekt war eines der Glanzstücke im Bestand der Schauhalle und hatte einen Versicherungswert von 500.000 DDR-Mark.

Die Kaminuhr hatte allerdings kein Uhrwerk. Wir hatten sie zwar im Kontext mit der Chinoiserie-Malerei Höroldts immer ausgestellt, aber sie war eben leider nicht perfekt in ihrem Zustand. Meister Schumer fand in seinen Beständen ein Uhrwerk, zeitlich recht gut zur Entstehungszeit des Gehäuses passte. 1977 konnte er es perfekt einbauen. Bis es dazu kam, hatte ich allerdings eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe. Ich sollte die Uhr nach Leipzig bringen und von dort auch wieder abholen.

Mit dem Uhrmachermeister hatte ich für die Übergabe einen Termin vereinbart, an dem ich wieder an der Uni zu tun hatte.  In der Manufaktur packten wir die Uhr fachgerecht ein, ich nahm sie mit zu mir nach Hause. Dort stand das kostbare Stück eine Woche lang auf dem englischen Büfett im Wohnzimmer: Meine Frau, mein Sohn und ich wollten es täglich ehrfurchtsvoll betrachten. Als der Übergabetag nahte, packte ich die Uhr schließlich wieder ein, nahm das Paket mit zum Meißner Bahnhof, fuhr mit dem Zug nach Leipzig und lief zu Fuß zum Geschäft von Meister Schumer.

Gemeinsam packten wir dort die Uhr aus und vermerkten, dass der Transport keine Schäden verursacht hatte. Meister Schumer schaffte die Preziose sofort in die hinteren, gesicherten Räume seiner Werkstatt, wo er sie in einem Tresor verwahrte. Ob er aber eine entsprechende Versicherung hatte, wussten wir nicht, denn wir hatten mit ihm auch keinen Vertrag abgeschlossen.

Irgendwann erhielt ich die Nachricht, dass die Uhr wieder abgeholt werden könne. Und wieder brachte ich sie zu Fuß zum Bahnhof und mit dem Zug nach Meißen. Am folgenden Tag war ich jedoch Punkt 7 Uhr erlöst von der Verantwortung: Nun stand die Uhr nicht nur wieder in unserem Museum, sondern sie erhielt gleich einen Ehrenplatz in unserer Uhrenausstellung. 

Als sie später auf großen Meißen-Ausstellungen in Leningrad und Tokio gezeigt wurde, war der Transport höchst kompliziert. Die Uhr musste gesondert von Sicherheitsfirmen bewacht werden, da mitunter keine Versicherungssummen festgelegt waren, sondern Staatsgarantien vereinbart wurden.

Das Gehäuse der Kirchner-Uhr wurde 1995/96 noch einmal neu ausgeformt. Dabei wurden zwei Figuren bzw. Figurenteile ergänzt und das Zifferblatt nach historischen Befunden verändert.

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