23. November 2024 09:15

Rundgang zu bedeutenden Persönlichkeiten

Zeugen der Stadtgeschichte: Der Friedhof an der Nossener Straße (1)

Als „Stadtfriedhof“ ist er bekannt. Doch tatsächlich handelt es sich beim größten Meißner Friedhof an der Nossener Straße um den Gottesacker der Frauenkirche, die jetzt zur Kirchgemeinde St. Afra gehört. Die Nähe zur Frauenkirche war aus Platzgründen schon 1539 aufgegeben worden. Danach legte man den Friedhof vor der Stadt auf dem heutigen Käthe-Kollwitz-Platz an. Durch die ständigen Hochwasser war das auf Dauer keine günstige Lösung. Im Oktober 1871 wurde deshalb auf dem hoch gelegenen städtischen Flurstück „Die Schanze“ der heutige Friedhof eingeweiht. Es dauerte jedoch noch einige Zeit, bis die Beisetzungsfeierlichkeiten auch in einer Kapelle erfolgen konnten. Jene wurde erst am 19. Dezember 1875 eingeweiht. Im Jahr 2005 wurde sie renoviert.

Ältestes Grab mit einer Bibel

Wer heute auf dem Friedhof die Erinnerung an Persönlichkeiten der Stadtgeschichte sucht, muss sich auf einen längeren Rundgang einrichten. Am besten beginnt man vom Eingang aus nach links, entlang der Friedhofsmauer zur Nossener Straße.

Linker Hand geht es vorbei am Grab der Mühlenbesitzer Wetzel von der 4. (Wetzel-)Mühle am Mühlweg 23 sowie der Ruhestätte des HNO-Arztes Dr. Thürigen vom Tonberg 4. Schräg gegenüber ruht Dr. Bernhard Hansen, der sich als Lehrer an der Fürstenschule durch nationalsozialistische Gesinnungstreue hervortat, nach längerer Haftverbüßung sich aber als Mitarbeiter der „Meißner Heimat“ einen neuen Ruf erwarb.

Inzwischen sind wir an der Friedhofsmauer angelangt, die nach rechts von der Erweiterung zur Quellgasse abgrenzt und die Flurgrenze zu Obermeisa markiert. Hier sollen die ersten Grabanlagen erfolgt sein. Die im Winkel liegende Grabstätte der Familie Keilhau, gekennzeichnet durch eine aufgeschlagene Bibel, ist die älteste noch vorhandene. Sie wurde vom Johannesfriedhof hierher verlegt. Die rechts davon gelegene Gruft der Familie Oesterwitz in ihrer Ahnenreihe ein 1895 verstorbener Stadtrat – erweckte 1953 Aufsehen durch ein dort vom Friedhofsmeister Blauert verstecktes Funkgerät und die dadurch ausgelösten  Verhaftungen sowie Aburteilungen.

Friedhofskapelle an der Nossener Straße in Meißen
Die Kapelle auf dem Friedhof an der Nossener Straße in Meißen. Foto: T. Grau

Entlang der Mauer folgen nun eine Reihe Grabstätten sehr bekannter Familien: Ideler, Betreiber der gleichnamigen Gaststätte am Kleinmarkt und Kurtz, Inhaber der Papierwarenfabrik in der Talstraße 80 und bemerkenswert durch den Stadtrat, Landtagsabgeordneten und Ehrenbürger Curt Robert (1910 beigesetzt auf dem Martinsfriedhof) sowie eine Kunststiftung seines Sohnes. Daneben die Grabstätten der Familie Leschner – durch den Stadtrat und Ehrenbürger Eduard Leschner (1807-1878) bekannt – und des ersten Rektors der LPG-Hochschule Prof. Dr. agr. Walter Pfeifer. Es folgen Heder (Ofenfabrik am Plossenweg), Rucktäschel (Modehaus Kleinmarkt 2) und Pause (Schnittwarenhandlung Markt 7) sowie die Ruhestätte der Konzertsängerin Marianne Reiche.       

Einer Galerie bedeutungsvoller Persönlichkeiten begegnen wir nach dem Eintritt in den hinter dieser Mauer gelegenen Erweiterungsteil „Abteilung O“. Im oberen Mittelteil fällt der Hain für Soldatenopfer auf. Ein wuchtiger Gedenkstein der Misnia, der Vereinigung ehemaliger Meißner Realschüler, erinnert an die 217 Gefallenen des (jetzigen) Franziskaneums. Wir halten uns links und stehen bald vor dem Grab des Kunstmalers und Meißner Kunstpreisträgers Gerhard Schiffner sowie seiner Ehefrau, der Porzellanmalerin Gerda. Danach folgen die Ruhestätten von Kurt Petermann, Direktor der Porzellanmanufaktur (1969-1983) und Initiator der Partnerschaft mit Arita, sowie des Heilpraktikers Kliemant.

Am oberen Mauerverlauf zur Nossener Straße lässt sich heute nur noch erahnen, dass auch hier einst bedeutsame Meißner Bürger ihr letzte Ruhe fanden. Davon zeugen noch die Namen Woldemar Schlimpert (Verlagsbuchhändler, Gerbergasse 24, jetzt 20) und Edwin Reinhardt (Zigrarrenfabrikant, Poststraße 13).

Weiter führt der Rundgang entlang der talwärts führenden Friedhofsmauer. Dort lässt sich am Familiengrab Schuster Generationsgeschichte ablesen. Der Nachkomme Dr. Gottfried Bucher konnte dazu weitere Hinweise geben. Dem 1903 verstorbenen Zigarrenfabrikanten konnte eine Grabstein aus tiefschwarzem schwedischen Granit zugedacht werden, seiner 1921 gefolgten Gattin blieb nach dem verlorenen 1. Weltkrieg nur gefleckter deutscher Granit und der nach der Weltwirtschaftskrise 1934 verstorbenen Tochter schließlich ein abgeschliffener Stein von schlechtester Qualität.

Brauer, Händler, Sammler und Stifter

Von nun an reihen sich die Namen ortsbekannter Familien aneinander, von denen nur einige erwähnt seien: Bahrmann (Christian Eduard erwarb 1868 das Alte Brauhaus An der Frauenkirche 3, seine Söhne Franz und Georg waren später Besitzer des Hamburger Hofes und der Schwerter Brauerei), Gebhardt (Carl Ernst war Inhaber einer „Produktenhandlung“ am Heinrichsplatz, nachfolgende Generationen kauften 1890 die „Stadtparkhöhe“) und Horn. Otto Horn begründete 1868 die Weinhandlung, mit Konditorei und Café Elbstraße 9. Sein Sohn Otto, der sich am 7. Mai 1945 das Leben nahm,  wurde durch sein heimatkundliches Engagement sowie als Sammler bekannt, woraus sich die testamentarisch verfügte Horn-Stiftung ergab.

Am Ende der Grabreihe angelangt, wählen wir auf der anderen Seite den Weg zurück. Dort fällt bald eine vor einer Tür stehende Jesusgestalt ins Auge. Zu ihr fehlt es zwar an künstlerischen Angaben, man wird jedoch an den Christus des dänischen Bildhauers Thorvaldsen erinnert. Über den ersten Querweg hinaus stoßen wir dann noch auf das Grab des Bratschisten und Komponisten Kurt von Schwake, einem zeitweiligen Lebensgefährten der Klavierlehrerin Grete Mc Gregor, danach des Dramatikers sowie schreibenden und – am Neumarkt 40 – praktizierenden Heilpraktikers Gustav Schiffner, Vater des Kunstmalers Gerhard Schiffner.

Die Jesusfigur schmückt eine Grabstätte
Die Jesusfigur schmückt eine Grabstätte. Foto: Steinecke

Im nächsten Gang, der linker Hand von den Grabstätten Krebs, Brockmann, Beegen und Züchner gekennzeichnet ist, beeindruckt am Ende der gegenüberliegenden Reihe die in jüngster Zeit völlig erneuerte Ruhestätte der Familie Thürmer. Die Anlage entspricht der Bedeutung des Namens für Meißen. Die Familie Thürmer wurde durch den 1834 am Schlossberg begründeten Klavierbau bekannt. 1873 verlegte man die Pianoforte-Fabrik in die Martinstraße. Seit 1908 war sie auch in der Ferdinandstraße angesiedelt. Die Pianofortefabrik erwarb im weltweiten Musikleben einen ausgezeichneten Ruf.

Wenden wir uns nun dem letzten Weg zu, der entlang der inneren Friedhofsmauer führt und links durch die neue Grabstätte der Familie Girbig – hier vormals Koch (Drogerie Fleischergasse 10) – eingeleitet wird. Auf dieser Seite, ungefähr in der Mitte, erinnern der Name Staudte an die Fleischerei am Hahnemannsplatz 7, danach Quasdorf an die Rossschlächterei in der Neugasse, jetzt Nr. 50. In der gegenüberliegenden Grabreihe ziehen den Betrachter fast am Ende zwei imposante Begräbnisstätten in Bann, die als die größten des Friedhofs gelten: Locke und Biesolt.  Hermann Locke und Maximilian Biesolt hatten sich in der Eisengießerei Jacobi im Triebischtal kennengelernt und 1869 auf dem heutigen Freigelände der ehemaligen Neumarktschule eine Fabrik für Nähmaschinen begründet. Jene wurden unter dem geschützten Namen „Afrana“ zu einem begehrten Markenartikel. Der mächtige Industriekomplex, der zuletzt rund 800 Arbeitern eine Existenzgrundlage bot, brannte am 21./22. April 1914 jedoch völlig aus, so dass hier auf eine Fortführung der Produktion verzichtet werden musste. Dennoch zeigen auch die mächtigen Gräber die bedeutende Stellung der Unternehmer, die auch durch ihre Mitgliedschaft in der Meißner Freimaurerloge zum Ausdruck kam. Interessant sind die im Mai 1945 liegenden Sterbedaten von Hermann, Gerda und Christiane Locke, die auf einen Zusammenhang mit dem Kriegsende schließen lassen. Die Chronik der Familie Biesolt ab dem 18. Jahrhundert ist am Grab in Stein festgehalten.

Auf dem Stein ist die Chronik der Familie Biesolt festgehalten
Auf dem Stein ist die Chronik der Familie Biesolt festgehalten. Foto: Archiv

Erinnerung an ein schweres Unglück

Nach wenigen Schritten sind wir wieder am Friedhofseingang angelangt und auf die Fläche vor der Kapelle herausgetreten. Halbrechts steht ein Obelisk: das Pulvermahnmal. Er erinnert an eine schreckliche Begebenheit, die sich am 9. Februar 1875 in der Sicherheitszünderfabrik von Bickford & Co. im Goldgrund zugetragen hat. Es war gegen 16 Uhr, als in einem Arbeitssaal das dort verwendete Pulver, mutmaßlich durch erwärmte Maschinen oder Kleidung, explodierte und unter den dort arbeitenden Frauen ein Blutbad anrichtete. Insgesamt fanden neun Frauen in den Flammen den Tod, sechs andere erlagen in den nächsten Tagen ihren schweren Verletzungen. Unter diesen 15 am Obelisk aufgeführten Namen berührt besonders das Schicksal der 26-jährigen Witwe Wilhelmine Richter aus Hintermauer. Sie hinterließ vier unmündige Kinder: den einjährigen Otto, die vierjährige Wilhelmine, den sechsjährigen Wilhelm und die achtjährige Auguste. Demgemäß fand die Beisetzung am 14. Februar viel Anteilnahme.

Nachbemerkungen: Das Grab des Dr. Hansen ist nicht mehr vorhanden. – Bei der als Jesus aufgefassten und abgebildeten Figur soll es sich um Petrus handeln. Diese Grabstätte gehörte der Kaufmannsfamilie Schippel (An der Frauenkirche 2, Markt 3, Kapellenweg 1), Mitinhaber der Fa. Kurtz, ist jedoch infolge Umbettung zum Martinsfriedhof nicht mehr belegt.  

Foto 1: Friedhofskapelle an der Nossener Straße in Meißen. Foto: Numiscontrol (Diskussion), 2. Nov. 2016, Kapelle auf dem neuen Stadtfriedhof, bearbeitet, CC0 1.0.

Der Artikel erschien am 16.11.2006 in der Druckausgabe des Meißner Tageblattes.

 

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