Zeugen der Stadtgeschichte: Eine kleine Chronik der Weinfeste
Ist es ermessen, eine Weinfestchronik vorzulegen? An Überlieferungen zum Thema mangelt es, denn sicherlich sind Feste mit „Wein, Weib und Gesang“ schon seit dem Beginn des Weinbaues üblich, ohne sonderlich aufgezeichnet worden zu sein. Im Altertum kannten Griechen und Römer die Weingötter Dionysos und Bacchus. Es gibt die Gemälde der alten Meister, wie der „Trinkende Bacchusknabe“ (um 1623) des Italieners Guido Reni, zum Thema passen auch die Barock-Figuren am Dresdner Zwinger, etwa die der Pomona, der römischen Göttin der Gartenfrüchte. Auch dort, wo der Weinbau ganze Orte beschäftigte, gab es schließlich zum Abschluss der Weinlese irgendwann volkstümliche Weinfeste: In Deutschland gelten die von Winningen an der Mosel als die ältesten, die 1551 ihren Anfang nahmen. Im Meißner Land scheint es dagegen lange an Gemeinsinn gefehlt zu haben: Jeder begann und beendete seine Lese nach Gutdünken. Einen gemeinsamen feierlichen Abschluss der Lese förderte das nicht. Im besten Falle beschloss lediglich eine „Pressmahlzeit“ beziehungsweise ein Fest der Weinlese am Martinstag, dem 10. November, die Ernte.
Letzten Wagen gefeiert
Einen ersten Anschein von Weinfest – für den ja ein Umzug typisch ist, vermittelt die Kostenaufstellung zur Weinlese 1701 am städtischen Ratsweinberg. Darin werden auch Spieße für einen Aufzug berechnet. Allerdings dürfte es sich nur um bescheidene Umzüge im Gefolge des letzten Erntewagens gehandelt haben. Zu feiern gab es auch nur in sehr guten Weinjahren, so ist anhand fehlender Überlieferungen zu mutmaßen. Ein Indiz für Weinfeste könnte jedoch die Fummel sein, die hochgestellten Gästen zum Willkommenstrunk gereicht wurde. So geschah es etwa am 14. Januar 1747, als die sächsische Prinzessin Maria Josepha von Dresden auf der Fahrt nach Paris durch Meißen kam. Zwar lässt diese Deutung die bekannte Legende verblassen, doch dafür altes Brauchtum besser verstehen.
Im Dresdner Umland von der Hoflößnitz bis nach Moritzburg machten im 18. Jahrhundert höfische Weinfeste von sich reden. In Meißen blieben dagegen die Winzerfreuden verhalten. Es mutet wie eine Mahnung an wenn sich der Poet „K…r“ (mutmaßlich Klähr) nach den überstandenen Kriegsgräueln von 1813 im „Meißner gemeinnützigen Wochenblatt“ vom 15. Oktober 1814 mit einem Gedicht an alle Weinbergs-Besitzer wendet. Er scheint sich hier an ein Weinfest 1783 zu erinnern: „Da gab`s für mich Gelegenheit, da sang man meine Lieder, da wohnt‘ ich fast in jeder Brust, da tanzt‘ ich unter Scherz und Lust …“
Vielleicht trug ja das zur Etablierung von „Mostfesten“ bei, die aber weniger dem Abschluss der Weinlese galten, sondern mehr dem neuen Weinjahrgang. Dessen Produkte wurden als Most ausgeschenkt und in Lobgesängen gerühmt. Zeugnis davon findet sich im „Meißner gemeinnützige Wochenblatt“ im Oktober und November des guten Weinjahres 1834. Zu lesen ist eine poetische Huldigung der „Götter des Olymps beim Meißner Most“ vom Weinexperten Dr. Ewald Dietrich sowie ein „Wechselgesang beim Most-Dank-Feste“ von Eduin Bauer.
Fest trotz Krise
Diese Zeit war schon durch Kriege und Importe bereits von einem Niedergang des Weinbaus gekennzeichnet. Und doch war das Winzerfest am 25. Oktober 1840 in der Lößnitz ein Höhepunkt. Es wurde von 159 weinbauenden Ortschaften und von der Sächsischen Weinbaugesellschaft veranstaltet. Anschaulich überliefert ist es durch Grafiken des Dresdner Malerei-Professors Moritz Retzsch, Ehrenmitglied der Weinbaugesellschaft und Weingutsbesitzer. Sein „Winzerzug“ wurde zur Vorlage für alle späteren Weinfeste: Neben Bacchus und Bacchantinnen, dem Liebesgott Amor auf dem Fass gehörten auch Winzermädchen, Böttcher und Korbmacher, Bergvögte und ein Harlekin dazu.
Noch fand das „Musterbeispiel eines Weinfestes“ kaum Nachahmung. Die Krise des sächsischen Weinbaus verschärfte sich ab den 1850er Jahren durch das Aufkommen des echten Mehltaus und ab 1885 den Reblaus-Befall. Weinseligkeit blieb davon allerdings unberührt: Die zahlreich aufgekommenen Weinschänken veranstalteten „Mostfeste“. Ströme von Ausflüglern ersetzten die ausbleibenden Festumzüge. Das macht ein Bericht im „Meißner Tageblatt“ vom September 1892 deutlich. Dort heißt es, dass am Eröffnungstag der Mostsaison in Omnibussen, zu Schiff und mit der Bahn die ersten Gäste in Meißen eintrafen, „deren Ziel die Weinstuben von Meißen und Umgebung waren. … Der Hauptschwarm zog nach dem Spaargebirge, um dort bei den zahlreichen Weinbauern Befriedigung für die weinlüsterne Kehle zu suchen. Auch die Weinschänken im Rauhental bei Klußmann, Richter, Schneider und Lehmann, am Mühlweg bei Kny und Nässig, bei Gebhardt auf der Stadtparkhöhe und im Bergschlößchen bei Rudolph fanden sich die Herbstausflügler ein.“ Das dürfte die Spaarer Winzer und Weingutbesitzer bewogen haben, sich durch ein volkstümliches Winzerfest den größten Zuspruch zu sichern. Das Fest fand erstmals am 14./15. September 1902 statt. Ein Festzug von der Weinböhlaer zur Oberspaarer Straße mit sechs Festwagen, einem Wappenträger und zwei Herolden zu Pferde wurde aufgeboten. Das Fest brachte trotz teilweise schlechten Wetters einen Überschuss von 567,42 Reichsmark, so dass man sich 1911 und 1913 zu weiteren Winzer- und Heimatfesten ermutigt sah.
Festspiele und Freiluftaufführungen
Der 1. Weltkrieg war keine gute Zeit für Festlichkeiten, doch es gab ein Bedürfnis nach Vergnüglichkeit. Veranstalter setzten auf die Zugkraft der Werbung. Einerseits blieben weiter die Weinschänken die aktivsten Förderer, allen voran die Inhaber der Weinschanks „Stadtparkhöhe“ Richard und Martha Gebhardt. Andererseits gab es 1913 Bemühungen um eine Erneuerung des Weinbaus. Auf die wollte man aufmerksam machen. 1924 richtete die Hoflößnitz nach 184 Jahren wieder ein Weinfest aus. 1925 folgte Seußlitz und 1927 Meißen. In Meißen konnte man sich dabei auf die Erfahrungen und Aktivitäten des Ortsvereins der 1912 eingemeindeten ehemaligen Weinbergsgemeinde Spaar stützen.
Zwar bewegten sich die zwölf Bilder des Winzerfestzuges am Sonntag, dem 25. September, von der Wettinstraße aus durch die Altstadt, doch der Hauptteil der Festlichkeiten spielte sich in Spaar auf dem Festplatz an der Oberspaarer Straße ab. Dort wurde unter anderem Benno Zeidlers Festspiel „Der Kampf der Weingeister“ aufgeführt. Der beachtliche Zuspruch ermutigte dazu, schon 1929 im Rahmen der Meißner 1000-Jahr-Feier am 8. Juni ein weiteres Winzerfest zu organisieren. Die Feier litt zwar unter Dauerregen, glänzte aber mit einer Freiluftaufführung im Rietzschkegrund: Zeidlers neues Festspiel „St. Urban siegt am Spaar“ wurde gezeigt.
Berittene Herolde und Lampionfahrten
Tradition und Heimatverbundenheit mussten sich nach der Machtergreifung der Nazis 1933 in „völkische“ Ideologie einordnen. So fanden 1934 Weinfeste am Ratsweinberg sowie – veranstaltet von der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ – auf dem Meißner Schützenplatz statt, wo ein Programm mit Willkommensmarsch und Volkstumstänzen geboten wurde. Spaar, beging bis 1938 eigene Weinfeste. Der besseren Inszenierung diente ab 1935 das deutschlandweite „Fest der deutschen Traube und des Weines“, von dem das „Meißner Tageblatt“ im September 1936 zu berichten wusste: „… ewig blieb der Herbst, neu sind seine Lieder, neu der Geist, in dem ihn verstehen. Im freien Deutschland soll es nicht nur geben ernste Pflicht. … Gepriesen sei das schöne Vaterland, die Heimat – heil dem Schönen rings im Gau.“ Diese Freude währte allerdings nicht lang: Mit dem Beginn des 2. Weltkriegs 1939 endeten die so gepriesenen Weinfest-Freuden.
Es bedurfte nach dem Zusammenbruch von 1945 einigen Abstands, um die Weinfeste wieder als altes Brauchtum verstehen und begehen zu können. 1953 wurde das im Bemühen um eine „sozialistische Volkskultur“ möglich. Wie gering der Abstand vom Kriegsende aber war, zeigte sich, als für die berittenen Herolde des Festzuges noch auf Heeresmusiker der einstigen Wehrmacht zurückgegriffen werden musste. Das Programm dieses ersten Nachkriegsweinfestes vom Freitag, dem 4., bis Montag, den 7. September, bot vielfältige Veranstaltungen. Sie reichten von Freilichtaufführungen auf dem Burghof der Albrechtsburg über Tanzunterhaltung und Volksbelustigungen bis zu Sportdarbietungen. Das Fest klang mit einer Lampionfahrt auf der Elbe aus.
Mangel spürbar
In ähnlicher Art folgten mit nur kurzen Unterbrechungen über die gesamte Zeit der DDR weitere Weinfeste, zeitweise – so 1985 und 1988 – auch noch gesondert in Spaar. Die Weinfest-Kultur bot zwar Abwechslung im üblichen Kulturprogramm, blieb aber Spiegelbild der DDR-Verhältnisse. Mehr oder weniger spürbar waren ideologische Vereinnahmungen oder Erscheinungen der Mangelwirtschaft. So ging das Angebot von Meißner Wein immer mehr zurück und wurden ab Anfang der 1970er Jahre Mischweine – „Domkeller“ und „Domherr“ – üblich. Der „Klub der Werktätigen“ trat als Veranstalter „rund um die Albrechtsburg“ in Erscheinung. Es wurde durchgegriffen, wenn sich Aufregung andeutete, wie zum Weinfest im September 1978: Eine Band brach auf dem Markt ihr Konzept wegen der kalten Witterung wegen vorzeitig ab. Jugendliche empörten sich, worauf ein Einsatzzug der Volkspolizei eingriff und Verhaftungen vornahm.
Heute wird der Ausklang des Weinjahres alljährlich volkstümlich-festlich begangen. Größe und Umfang des Fests haben sich seit dem „1. freien Stadtfest“ am 15./16. September 1990, zu dem sich Bundeskanzler Kohl mit Gattin überraschend einfand, eine ständige Steigerung erfahren. Allerdings: Wichtig ist und bleibt, dass der Wein nicht eines Tages angesichts anderer Angebote wieder in den Hintergrund verdrängt wird.
Titelfoto: Heute sind die sächsischen Weinmajestäten stets beim alljährlichen Festzug dabei, Foto: Archiv.
Der Artikel erschien am 24.09.2010 in der Druckausgabe des Meißner Tageblattes.