21. November 2024 14:07

Das Militär kehrte nach Zaschendorf zurück

Vor 100 Jahren wurde die Jägerkaserne in Meißen-Zaschendorf eingeweiht. Dr. Günter Naumann schildert in einer Serie die Geschichte des Areals.

Für die Ausbildung an der Meißner Landespolizeischule wurde der Schießstand in Neusörnewitz genutzt. Handgranatenwerfen übte man im Spaargebirge auf der Karlshöhe und in den Sandgruben an der Großhügelstraße. Geländemärsche wurden ebenfalls ins Spaargebirge unternommen, und für kleinere Geländeübungen stand ein auf der Karlshöhe gepachtetes Areal zur Verfügung. Größere Übungen absolvierten die Schüler auf auswärtigen Übungsplätzen, zum Beispiel in Borna bei Leipzig. Die Landespolizeischule war nicht motorisiert, sondern verfügte nur über Fahrräder. Für Sondereinsätze wurden Fahrzeuge und Autobusse von der Kraftverkehrsgesellschaft Sachsen zur Verfügung gestellt.

Der Sportunterricht orientierte sich in den ersten beiden Jahren an der entsprechenden Heeresdienstvorschrift. Er umfasste gymnastische Freiübungen und Turnen. Gelehrt wurden auch die Polizei-Transportgriffe. Später kamen Selbstverteidigung, Boxen und Schwimmen hinzu. An einem hölzernen Übungshaus, aufgestellt an der östlichen Ecke des Exerzierplatzes, wurde der Häuserkampf geübt, zum Beispiel das Klettern an Blitzableitern und Balkonen und der Kampf auf steilen Dächern.

Bereits ab 1922 wurden auf dem Exerzierplatz in der Kaserne Sportfeste durchgeführt. Bei der Meißner Bevölkerung fanden sie großen Anklang. Allerdings war der Boden des Platzes zu hart, es gab zu wenig Platz für die Zuschauer. Als in den folgenden Jahren die sportliche Betätigung der Anwärter eine immer größere Rolle spielte und sehr gute Sportler auch an Landeswettkämpfen der Polizei teilnahmen, machte sich das Fehlen eines regulären Sportplatzes immer mehr bemerkbar. Zur Anlage eines eigenen Sportplatzes stellte die „Meißner Ofen- und Porzellanfabrik vorm. Carl Teichert“ der Landespolizeischule 1928 unentgeltlich Gelände auf ihrem Terrain in Zaschendorf zur Verfügung. Es war bisher als Abladeplatz für Keramikabfälle genutzt worden. Die Polizei-Anwärter legten hier im Verlauf von zwei Jahren einen Sportplatz an. Jeder Anwärter leistete dafür etwa 14 Arbeitsstunden. Die Einweihung des neuen Sportplatzes erfolgte am 13. Juli 1930 im Rahmen des jährlichen Sportfestes. Der Platz befand sich an der Hermann-Grafe-Straße schräg gegenüber der Schuhfabrik. Heute steht auf dort ein Autohaus.

Die Ausbildung wurde mit militärischer Härte durchgeführt, denn außer den Lehrern für die allgemeinbildenden Fächer waren die Ausbilder meist ehemalige Berufssoldaten. Die Landespolizeischule nahm an insgesamt 29 Sondereinsätzen teil. Dies betraf vor allem die Niederschlagung politischer Unruhen in Dresden und Leipzig. Die Dresdner Demonstranten sprachen über die dort eingesetzten Polizei-Anwärter mit besonderer Wut von den „Meißner Bluthunden“. In Meißen selbst gab es nur wenige solche Einsätze, etwa am 1. Mai 1924 gemeinsam mit der Meißner Polizei bei der Auflösung des verbotenen Demonstrationszuges. Bei den weiteren Einsätzen der Landespolizeischule handelte es sich um Katastropheneinsätze sowie die Absicherung von Staatsbesuchen und Großveranstaltungen. Obwohl von Anfang an auf eine politisch neutrale Erziehung Wert gelegt worden war, breitete sich schließlich auch in der Landespolizeischule nationalsozialistisches Gedankengut aus. Schikanöse Behandlung und militärischer Drill zogen wieder ein. Das veranlasste den SPD-Abgeordneten Liebmann dazu, im Juli 1931 im Sächsischen Landtag in einer Debatte über die Militarisierung der Polizei und die Verhältnisse an der Landespolizeischule Meißen zu sprechen. In der „Volkszeitung“ vom 5. Oktober 1931 wird unter der Überschrift „Nazipropaganda in der Polizeischule“ berichtet, dass sich Polizeihauptmann Gelbrich zum „Bund“, einer reaktionären Splitterorganisation der Polizeibeamten, bekennt und Anwärter Zeun eine „besonders stramme Nazinummer“ sei, der Chef der Polizeischule, Oberstleutnant Meißner, aber angeblich nichts von alledem wisse.

Bis 1933 gab es an der Landespolizeischule keine politische Führung. Das änderte sich ab März jenes Jahres. Am 7. März 1933 wurden im Rahmen einer sachsenweiten Aktion auch in der Meißner Landespolizeischule durch SA und SS, NSDAP und Stahlhelm die Hakenkreuz-Fahne des Dritten Reiches und die schwarz-weiß-rote Fahne des ehemaligen deutschen Kaiserreiches aufgezogen: Symbole für die Machtergreifung der NSDAP und für die Überwindung der Folgen der November-Revolution von 1918. Am 11. März sprach Polizeioberpräsident von Detten (NSDAP) in der Landespolizeischule über die Bedeutung der „nationalen Erhebung“.

Beim Neuaufbau der Landespolizei wurden an der Landespolizeischule die Ausbildungsziele und der Lehrkörper grundlegend verändert. Der Polizeifachunterricht fiel fast ganz weg. An seine Stelle trat mehr und mehr eine Militärausbildung. Führer und Unterführer wurden zu Lehrgängen der infanteristischen Grundausbildung abkommandiert. Man führte den Stahlhelm ein. Im August 1934 erhielt die Landespolizei erstmals eine eigene Fahne. Erstmals wurden die Polizei-Anwärter durch Berühren der Fahne auf Führer und Vaterland vereidigt. Ebenfalls 1934 übertrug man der Schule die Ausbildung der Offiziersanwärter. In einer Mitteilung wurde als Voraussetzung für die Einstellung die Mitgliedschaft in der SA, der SS oder dergleichen genannt. Am 31. März 1935 wurde die Landespolizeischule in Meißen geschlossen.

Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Deutschen Reich wurde die Meißner Jägerkaserne nun in nur dreieinhalb Monaten zur Kaserne für eine vollmotorisierte Korps-Nachrichten-Abteilung der Wehrmacht umgebaut. Fast alle bereits bestehenden Gebäude passte man dem neuen Verwendungszweck an. Vor allem aber erweiterte man die Kaserne: Die heutige Jägerstraße und das Geländes zwischen dieser und der Hermann-Grafe-Straße wurden einbezogen. Dort errichtete man sieben Kraftfahrzeughallen, eine Reparaturwerkstatt, eine Tankstelle sowie eine Gas- und Entseuchungsanlage. Das ehemalige Garnisonslazarett wurde nicht für die Nachrichten-Abteilung benötigt. Man baute es für die Heeresstandortverwaltung Meißen um, die einen separaten Zugang von der Ziegelstraße aus erhielt.

Am 15. Oktober 1935 wurde Meißen mit dem Einzug des Stammes der „Korps-Nachrichten-Abteilung 44“ in die Jägerkaserne wieder Garnisonsstadt. Vertreter der Stadtverwaltung und die Bevölkerung empfingen die einziehende Truppe herzlich. Am Kasernentor übergab Regierungsbaurat Gaile den Schlüssel an Oberstleutnant Oberhäußer, den Kommandeur der Nachrichten-Abteilung 44. Zur neuen Garnison gehörten zwei Fernsprech- und eine Funk-Kompanie. Genutzt wurde der Schießstand in Neusörnewitz.

Für die Unterbringung von Offiziersfamilien war im Herbst 1935 vom Meißner Bauverein das Vier-Familien-Wohnhaus Kruspestraße 52 errichtet worden. Im September 1936 war auch die künstlerische Ausschmückung von Räumen der Kaserne beendet. In Unteroffiziers-Speisesaal, Mannschafts-Speisesaal und Kantinenraum hatten Gerhard Schiffner und Rudolf Bergander großflächige Wandgemälde zum Thema „Meißner Soldaten im Wandel der Zeiten“ geschaffen. Ebenfalls im September 1936 wurde auf dem Mittelpfeiler des Kasernen-Eingangstors ein über zwei Meter breiter Hoheits-Adler in Bronze aufgestellt. Geschaffen hatte ihn der Meißner Künstler Alfred Borsdorf.

Am 30. April 1938 gab das „Meißner Tageblatt“ bekannt, dass der Kaserne vom Oberkommando des Heeres der Name „Hindenburg-Kaserne“ verliehen worden sei. Ab Kriegsbeginn war sie vor allem durch die „Nachrichten Ersatz Abteilung 4“ belegt. Als zweite Formation wurde hier am 1. Mai 1941 die „Nachrichten Dolmetscher Ersatz-Abteilung“ des Heeres aufgestellt, die man im April 1943 zur „Nachrichten Dolmetscher Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung“ umbildete. Untergebracht war sie im Mannschaftshaus III. Im März 1944 wurde sie von Meißen nach St. Avold in Lothringen verlegt.

Die in Meißen ausgebildeten Angehörigen dieser Abteilung wurden an der Front für das Abhören des gegnerischen Funk- und Fernsprechverkehrs eingesetzt. Dementsprechend überwog die Fremdsprachenausbildung. Die militärische Grundausbildung, Geländeübungen, Schießübungen und Sport sowie die Fernsprechausbildung waren stark reduziert. Im Gegensatz zu allen anderen in Meißen garnisonierten Truppenteilen erfährt man über die Dolmetscher-Abteilung sehr viel aus dem „Meißner Tageblatt“. Die hoch gebildeten Angehörigen dieser Formation richteten alljährlich zum „Tag der Wehrmacht“ und zu anderen Gelegenheiten völkerkundlich geprägte kulturelle Veranstaltungen aus, die bei den Meißnern sehr beliebt waren. Die Berichterstattung des „Tageblatts“ war begeistert. So werden die von den Dolmetschern zum „Tag der Wehrmacht“ 1943 in der Zaschendorfer Kaserne geplanten Veranstaltungen wie folgt angekündigt: „Auch in diesem Jahr wollen uns die Dolmetscher die Mannigfaltigkeit der Völker aus aller Welt zeigen, deren Sprachen sie vertreten.“ In Zaschendorf veranstalten sie „eine Tiroler Kirmes mit Bauernkapelle, mit Schuhplattlern und mit Volksbelustigungen aller Art. Von dort aus geht es zum Freihafen, einer karibischen Szene auf dem Meeresgrund und zu Medizinmännern und zur spiritistischen Sitzung. In Stuben und Buden haben die Dolmetscher Überraschungen vorbereitet. Da sind Ukrainer in ihrer Bauernstube, die Bosniaken mit ihrer Kaffeestube, da sind die ´Goldene Stadt´, die Schwedenstube und die Afrikaschau. Daneben laufen Kabaretts, Varietévorstellungen, Chorsingen, Kapellen spielen. Jeder kann über das Megaphon seine eigene Stimme hören oder Reit- und Fahrunterricht nehmen. Er kann mit Kleinkalibergewehren oder Luftbüchsen schießen. Es gibt Eintopfessen (Löffel mitbringen!), Bier und Wein und eine Tombola. Für den Verkehr sorgen Pferdeomnibusse, die am Bahnhof eingesetzt werden.“

Die Angehörigen der Dolmetscher-Abteilung pflegten auch persönliche Kontakte zu Intellektuellen in Meißen. Dazu gehörte der von den Nazis angefeindete anthroposophische Kreis um Monica von Miltitz in Siebeneichen. Monica von Miltitz beschreibt die Angehörigen der Dolmetscher-Abteilung in ihren Lebenserinnerungen. „Noch konnte ich bis 1944 die kulturelle Mission Siebeneichens aufrecht erhalten. In Meißen war eine Dolmetscherabteilung untergebracht, in den Augen des Militärs lauter unmilitärisches Gesindel. Künstler oder Diplomaten aus dem fernen Osten, Kaufleute aus Südamerika, Philosophen, Symphoniker, Dichter und Komponisten, alles Menschen, die sehr kulturbedürftig waren. Alle 14 Tage gab es bei uns einen Kulturabend, wo Musik gemacht wurde, oder einer seine Dichtungen vorlas, oder ich einen Vortrag hielt, oder Prinz Friedrich Ernst von Sachsen-Altenburg sprach. … 1944 wurde den Dolmetschern der Besuch in Siebeneichen verboten, und mein Sohn, der nach dem Tode seines Bruders die Bewirtschaftung des Gutes übernommen hatte und als unabkömmlich galt, als Strafe für mich an die Front geschickt.“

Wie beliebt die Dolmetscher in Meißen waren und wie wohl sie sich hier fühlten, geht aus einem Feldpostbrief des Wachtmeisters Werner Wecken hervor. „Ihr Lieben zu Haus! Heute möchte ich Euch einmal wieder einen Gruß senden. Die Kompanie rückte am Nachmittag ab nach unserem neuen Unterkunftsort St. Avold in Lothringen. Nun bin ich noch bis Freitag mit einem Nachkommando hier und muß alle Leitungen abbauen im Kasernenbereich. Am Freitagnachmittag fahre ich dann auch fort von hier und hoffe am Sonntagabend in St. Avold zu sein. Mit sehr schwerem Herzen gehen wir von hier fort, diesem schönen Stückchen Erde. Trotz des starken Schneegestöbers, das heute Nachmittag herrschte, bereitete uns die Bevölkerung von Meißen einen Abschied, an den die Abteilung noch lange zurückdenken wird.“ Nach dem Auszug der Dolmetscher wurde das Mannschaftshaus III offenbar durch die nach Meißen verlegte „Artillerieschule I“ bezogen, die bis zum 8. April 1945 in Meißen blieb.

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