Zeugen der Stadtgeschichte: Der Siebeneichener Park
Es war eine Anleitung zur stillen Andacht, die Monica von Miltitz mit ihrem Gedichtband „Das Parkbrevier“ 1937 dem Siebeneichener Park widmete – in einer Zeit, die ihr nicht freundlich war. „Könntet ihr nicht etwas leiser wandern durch den Park und seine Einsamkeit? Er gehört vor allem ja den andern, denen Stille not tut in der Zeit.“ Wenn sich dahinter auch eine Flucht aus dem nationalsozialistischen Alltag verbergen mag, so drückt sich darin doch auch die Freude am Naturerlebnis aus. Das vermag der Siebeneichener Park seinen Besuchern zu vermitteln.
Höchster Baum in Meißen
In seinen Anfängen geht er auf das 16. Jahrhundert zurück, womit er als der älteste Naturpark Sachsens gilt. Damals entstand vermutlich als Torhaus das malerische Jäger- oder Forsthaus an der heutigen B 6. Dessen Errichtung wird auf 1564 datiert. Wappensteine, ein Renaissanceportal, möglicherweise auch die Vorhangbogenfenster legen Zeugnis jener Zeit ab. Aus dieser Frühzeit stammt auch die mächtige Platane am Parkeingang, ein geschütztes Naturdenkmal mit einem Stammumfang von 6,75 Meter und einem Kronendurchmesser von 32 Metern. Ihre Höhe von 38 Metern übertrifft die aller anderen Bäume in der Stadt.
Die alte Anlage, zu deren Bestand auch Obstbäume zählten, hatte den Charakter einer landwirtschaftlichen Nutzfläche und wurde deshalb als Baumgarten bezeichnet. Der Öffentlichkeit blieb er jedoch verschlossen, 1591 wurde er ummauert. Noch im 18. Jahrhundert hob Ursinus in seinen Publikationen hervor, dass der Baumgarten, der „seines gleichen nicht im ganzen Lande haben“ soll, mit einer sehr langen Mauer umgeben ist. Eine Parkgestaltung dürfte lediglich an der Schlosszufahrt vorgenommen worden sein: ursprünglich im Renaissancestil, nach dem Schlossbrand von 1745 im Stile französischer Gartenarchitektur.
Die Umgestaltung des Baumgartens zur Parkanlage geht auf Ideen der bildhübschen Engländerin Sara Anna Constable zurück, die Schlossherr Dietrich von Miltitz in London kennengelernt und 1796 geheiratet hatte. Angeregt von der romantischen Schwärmerei, die einen Kreis von Geistesgrößen nach Siebeneichen zog – darunter Novalis, die Brüder Schlegel und die Familie Körner – widmete sie sich in Erinnerung an ihre Heimat ab 1806 der Anlage eines allen offenen englischen Landschaftsparks. Sie begann damit im unteren Teil, der lange Zeit der schönste gewesen sein soll und als „Engländerei“ bezeichnet wurde.
Als im Sommer 1818 das Ehepaar Körner Siebeneichen einen Besuch abstattete, geriet es in Begeisterung über die glückliche Standortwahl eines Tempels, die neue Brücke über eine Schlucht und die Sichtbeziehungen. Mit dem Tod der erst 45-jährigen Sara 1819 kam jedoch die Umgestaltung zum Erliegen.
Das Volk im Park
Erst 1830 nahm sich Dietrich von Miltitz der weiteren Parkgestaltung an. Sie wurde nun bis 1845 zum Abschluss gebracht. Noch waren ihm acht Jahre vergönnt, sich dieses Lebenswerkes und des Zuspruchs der Meißner zu erfreuen. Zwar ließen sich zum Schutze der Anlage gewisse Einschränkungen nicht vermeiden. Heidelbeeren zu suchen war beispielsweise verboten. Doch schmälerte das nicht das Volkstreiben. Winters stand sogar eine Schlittschuhbahn am Jägerhaus zur Verfügung. Vor allem aber lud der Park zur Erholung ein. Professor Adolf Peters, Lehrer an der Fürstenschule St. Afra, genoss das im Frühling 1861 mit seinen Schülern an einem Wandertag: „Die Schüler lagerten sich unter den Bäumen an kleinen Abhängen umher und stimmten Waldlieder von Uhland u. a. an, die der Gesang der Vögel in den Wipfeln und das träumerische Plätschern des Quells begleiteten.“ Die Miltitze fanden im Park ihre letzte Ruhe: In vier Gräbern oberhalb des Schlosses wurden sie zwischen 1886 und 1933 beigesetzt.
Der Park wurde bald Schauplatz andächtiger und weihevoller Veranstaltungen. Den Anfang machte 1862 ein Künstlerfest zu Ehren des Malers Schnorr von Carolsfeld und der von ihm vollendeten Bilderbibel. Per Schiff reisten dazu 1.500 Gäste sowie der König an. Ein allegorisches Festspiel am Jägerhaus würdigte das Lebenswerk des Künstlers. Nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich 1871, erfüllte den Park ein anderer Geist. Oberkammerherr von Miltitz weihte am oberen Zugang zum Schlosspark ein Siegesmonument ein. Die Einwohnerschaft feierte dort und an einem weiteren Denkmal nahe des Forsthauses enthusiastisch. In der Folgezeit gehörte das zum Jahresablauf.
Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg ermahnten ab 1922 am „Jägerdenkmal“, das dem Meißner Jägerbataillon gewidmet war, die Namen von Gefallenen zu mehr Nachdenklichkeit.
Inzwischen hatte der Park aber auch als Bühne für Kulturveranstaltungen Bedeutung. Die Stadtkapelle nutzte ihn seit Ende des 19. Jahrhunderts für Pfingstkonzerte, später auch für Wohltätigkeits- und Morgenkonzerte.
Eine besondere Rolle spielte der Park jedoch in den anthroposophischen Aktivitäten der Baronin Monica von Miltitz. Durch ausdrucksvolle Bewegungen wurde Zugang zum Jenseitigen angestrebt. Die aus dieser Sicht hier 1921 gebotenen „Haaß-Berkow-Spiele“ boten mit einem „Totentanz“ und Goethes Jugenddramen eine hohe laienkünstlerische Leistung.
Traurige Ereignisse
Unterdessen kaufte die Stadt Meißen 1925 den Park. Nationalistisches drängte sich jetzt in den Vordergrund. Am 8. September 1929 versammelten sich rund 4.000 Teilnehmer zur Morgenfeier des Vereins für das Deutschtum im Ausland. Sie lauschten den Ausführungen eines Führers des Auslanddeutschtums aus Prag. Die Naturkulisse kam auch den Nationalsozialisten zurecht. Sie veranstalteten Märchenfeste, aber auch Gedenkfeiern. Im August 1938 widmete sich im Park beispielsweise die Meißner SA-Standarte dem Freiheitskämpfer und –dichter Theodor Körner.
Nicht immer war der Park nur Schauplatz für Kultur und Veranstaltungen. Es kam hier auch zu öffentlichem Ärgernis, Streit und Wilddieberei. Die wohl traurigste Begebenheit markiert aber das Ende von Nationalsozialismus und Krieg. Am Abend des 6. Mai 1945 wurde der 40-jährige Obergefreite Alfred Damm aus Meißen in einer Kolonne gefangener deutscher Soldaten am oberen Parkzugang von sowjetischen Bewachern niedergeschossen. Noch lange erinnerte sein Grab neben den Adelsgräbern an diesen Vorfall. In der Nachkriegszeit trug sich dann abermals eine Bluttat zu. Am 4. Juni 1946 wurde in der Bockwener Delle der Porzellanmaler Hegewald aus Raubgier ermordet, der Täter aber nie ermittelt. Auch an tragischen Begebenheiten fehlt es nicht. 1956 starb im Park der Heimathistoriker Dr. Gröger bei einer Herzattacke, später ertrank im Schlossteich ein Junge…
Mit der Enteignung 1945 erhielt das Schloss neue, kulturpolitische Funktionen. Schloss und Park fanden auch Aufnahme in die Denkmalliste. Doch die Pflege und Erhaltung blieb ständig dem Wechselspiel von Wollen und Können ausgesetzt. Erhebliche Beeinträchtigung war bereits 1945 die Beseitigung eines Tulpenbaumes nahe der Platane. Um 1948 wurden die Plastiken vernichtet. Um 1950 legte SED-Führungskader Walter Sammet unterhalb des Schlossberges ein Wohnhaus mit Biberfarm an.
Tierpark und Arita-Hain
Andererseits sorgten immer wieder Initiativen für Verbesserungen. Ab 1976 wurden die Teichanlagen rekonstruiert – als „Kreisjugendobjekt“ durch Einsätze der FDJ mit Komsomolzen der hiesigen Garnison. Ab Anfang der 70er Jahre wurde der Tierpark angelegt: zunächst als Tiergehege, seit 1984 am jetzigen Standort. Die Städtepartnerschaft mit dem japanischen Arita brachte den Arita-Hain.
Die schließlich an die Wende geknüpften Erwartungen der Parkliebhaber auf deutliche Verbesserungen erfüllten sich aber bis heute nicht. Zwar überstand der Tierpark kritische Jahre. Das Forsthaus fand in privaten Händen gastronomische Nutzung. Seit 2005 bemüht sich eine Bürgerinitiative um den Park und hat aus eigenen Mitteln Bänke finanziert. Doch allein der Anblick der Teichanlage oder des scheinbar aufgegebenen Privatgrundstücks unterhalb des Schlosses sind wenig dazu angetan, die einst romantische Stimmung nachzuerleben. Es wäre an der Zeit, den Siebeneichener Park zu neuem Leben zu erwecken.
Der Artikel erschien am 05.10.2006 in der Druckausgabe des Meißner Tageblattes.