Eine Meißnerin betreibt das seltene Kunsthandwerk der Ikonenmalerei. In diesem Herbst stellt sie ihre Bilder in einem Kloster an der Elbe aus.
Ungefähr fünf Jahre ist es her, dass Carola Mai ihre Leidenschaft für die Ikonenmalerei entdeckte. Ikonen? In Deutschland? „Da gibt es immer wieder erstaunte Blicke, manchmal auch Ablehnung“, sagt die Meißnerin. Allerdings auch viel Interesse an den „heiligen Bildern“, die man sonst aus den orthodoxen Kirchen kennt.
Jesus, Maria und die christlichen Heiligen schauen von den Bildern. Gemalt sind sie in gedeckten Farben vor goldenem Hintergrund, in einem Stil, der mindestens seit dem 6. Jahrhundert unverändert ist. Ikonenmalerei ist kein Genre, das einem Künstler Freiheiten erlaubt. Im Gegenteil: „Es ist ein Kunsthandwerk, das strengen Regeln folgt“, sagt Carola Mai. Doch trotz der Beschränkung erlaube es gedankliche Freiheit vom Alltagslauf.
Wenn Carola Mai eine Ikone malt, versenkt sie sich in eine besondere Sphäre. Religiöse Andacht soll nicht nur die Betrachter, sondern auch die Schöpfer der Bilder bewegen. So beschrieb es der Zeitschriftenartikel, der die Meißnerin auf das Ikonenmalen neugierig machte. So erlebt sie es heute.
Nur wenige Wochen, nachdem sie von der Ikonenmalerei gelesen hatte, fuhr Carola Mai zu einem ersten Kurs. In einem österreichischen Kloster lernte sie die Grundlagen, vermittelt von Abt Otto Strohmaier. Schnell sei ihr klar gewesen, dass ihr das Malen von Ikonen einfach lag. Die religiös-spirituelle Seite des Handwerks war ihr als Christin nah. „Aus meinem ersten Beruf bringe ich außerdem noch gute andere Voraussetzungen mit.“ Die gelernte Porzellanmalerin aus der Meißner Manufaktur kann schnell und genau Bildmotive erfassen und mit Pinsel und Farbe wiedergeben. „Genauigkeit beim Hinschauen und beim Malen ist wichtig.“ Dabei komme es aber in der Porzellan- wie bei der Ikonenmalerei auch auf den eigenen künstlerischen Schwung an.
Auf den ersten Kurs folgten weitere. Ikonenmaler lernen von erfahrenen Meistern. Für Carola Mai war das neben dem österreichischen Abt der Russe Walerij Grischanow. Er leitete die erste private Ikonenmalschule Russlands und lernte selbst bei einem bekannten Ikonenmaler, dem Mönch Zenon. Eine griechische Kunstprofessorin brachte Carola Mai die Ikonenmalerei in der seltenen Technik der Enkaustik bei. Egal, ob die Bilder nach der russisch-orthodoxen oder der griechisch-orthodoxen Methode entstehen: Gleich ist der andächtige und von Regeln geleitete Prozess ihrer Schöpfung. Gleich sind stets auch die Motive – und das schon seit der Zeit der frühen Christenheit.
Die Vorbereitung auf das Malen einer Ikone dauert mehrere Tage. Unterlage des Bildes ist Holz und das muss aufwendig vorbereitet werden. Rund zehn Mal wird der Malgrund eingeleimt und abgeschliffen, bevor das Auftragen der Farben beginnen kann. Dabei zählt jeder Pinselstrich. Verwendet werden Farbpigmente, die Carola Mai mit Ei und Bier anrührt: So haben es schon die Ikonenmaler im Mittelalter gemacht. Die Motive der Ikonen sind von altersher überliefert. Jedes Detail und jede Farbe haben eine theologische Bedeutung. Handhaltung, Blickrichtung und natürlich die Gewänder und Schriftzeichen verkünden die Botschaften von Tod, Auferstehung und Gottesliebe.
Das ist das Faktische. Das Besondere am Schöpfungsprozess kann aber auch eine Ikonenmalerin nicht genau in Worte fassen. Es sei ein einzigartiger Moment, wenn eine Ikone den Maler zum ersten Mal anschaue, sagt Carola Mai. „Das Bild ist eigentlich schon vorhanden, der Maler setzt es nur um.“ Manchmal gelinge das nicht auf Anhieb. Es brauche Ruhe und Vorbereitung, zum Beispiel durch Meditation und Gebet. Welche Rolle spielt künstlerisches Talent? Keine große, sagt Carola Mai, die inzwischen selbst Schüler unterrichtet. „Denen sage ich, dass es viel mehr auf die Bereitschaft ankommt, sich auf Ungewisses einzulassen – im Vertrauen darauf, dass man geführt wird.“
So erlebte es Carola Mai selbst schon oft. Etliche Ikonen hat sie gemalt. Einige wurden in Ausstellungen gezeigt. Vom 2. bis zum 10. September ist die nächste Schau im Kloster Marienstern in Mühlberg an der Elbe geplant. Dort gibt die Meißnerin ihr Handwerk bald auch selbst weiter. Im November findet unter ihrer Leitung im Mühlberger Kloster ein einwöchiger Kurs zur Ikonenmalerei statt. Ein weiterer ist für das kommende Jahr geplant.